Planetare Belastungsgrenzen: Die Grenze für Schadstoffe ist überschritten
Wir fordern stärke Regulierung und Verbote von gesundheits- und umweltschädlichen Chemikalien
Umweltexpert*innen schlagen Alarm: Es gibt zu viele synthetische gefährliche und langlebige Chemikalien, die die Umwelt, ganze Ökosysteme und die menschliche Gesundheit bedrohen. Die Belastungsgrenze unseres Planeten ist überschritten. Eine Verlangsamung der Produktion chemischer Substanzen ist dringend erforderlich.
Zu dieser Einschätzung kommen Wissenschaftler*innen in einer Studie, die Anfang des Jahres in der Zeitschrift Environmental Science & Technology veröffentlicht wurde und die erstmals das Ausmaß der chemischen Verschmutzung aufzeigt. Demnach ist neben der Überschreitung der planetaren Grenzen beim Klimawandel, bei bio-geochemische Kreisläufen, der Landnutzung, und der Unversehrtheit der Biosphäre nun die mit der Chemikalienverschmutzung eine fünfte planetare Belastungsgrenze überschritten. Das internationale Forschungsteam stellt fest, dass sich die Produktion von Chemikalien seit 1950 um das fünfzigfache gesteigert hat und sich bis 2050 voraussichtlich noch einmal verdreifachen wird. Allein die Plastikproduktion ist zwischen 2000 und 2015 um 79 % gestiegen.
“Schädliche Chemikalien zerstören nicht nur unsere Ökosysteme, sondern machen auch krank.”
“Die Ergebnisse dieser Studie sind zutiefst beunruhigend und machen einmal mehr deutlich, dass es dringend politischen Willen braucht, die Verschmutzung unseres Planeten mit schädlichen Chemikalien zu stoppen und Wirtschaftsinteressen Einhalt zu gebieten”, sagt Johanna Hausmann, Chemikalienexpertin für WECF. “Wir brauchen nationale und internationale Verbote dieser Stoffe. Schädliche Chemikalien zerstören nicht nur unsere Ökosysteme, sondern machen auch krank. Bei der Zunahme von Krebserkrankungen, Fruchtbarkeitsstörungen, hormonellen Störungen, neurologischen Erkrankungen, Asthma und vielen weiteren machen Wissenschaftler*innen und auch die WHO die Belastung mit schädlichen Chemikalien mitverantwortlich. Besonders vulnerabel gegenüber schädlichen Chemikalien sind indigene Völker, (schwangere) Frauen* und Kinder.”
Allein die Plastikproduktion ist zwischen 2000 und 2015 um 79 % gestiegen.
Weltweit sind mehr als 350.000 chemische Stoffe auf dem Markt. Kunststoffe, Pestizide, Weichmacher, Flammschutzmittel und Schwermetalle in Produkten und viele mehr. Von den meisten Stoffen gibt es keine Daten, die das Gefahrenpotential verdeutlichen. Dies erschwert eine Regulierung. Gleichzeitig sollte das Vorsorgeprinzip zur Anwendung kommen: so lange nicht bewiesen ist, dass ein Stoff der Umwelt und Gesundheit nicht schadet, sollte er nicht verwendet werden. Die Wirklichkeit sieht offensichtlich anders aus.
Sichtbar wird der Grad der Verschmutzung beim Anblick von Plastikmüllbergen und -müllstrudeln im Meer. Doch auch hier werden die schädlichen Chemikalien, die Plastik als Additive hinzugefügt werden und die auch im Plastikmüll stecken, häufig vernachlässigt. Deshalb sollte die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA), die im März in Nairobi stattfand, Verhandlungen für ein rechtlich verbindliches Übereinkommen zur Bekämpfung der Plastikflut inklusive ihrer giftigen Zusatzstoffe auf den Weg bringen.
Hintergrund
Das Konzept der planetaren Grenzen wurde 2009 entwickelt, als ein Forschungsteam unter der Leitung des Schweden Johan Rockström und des Amerikaners Will Steffen den Vorschlag machte, neun Grenzen zu definieren. Sollte eine oder mehrere dieser Grenzen überschritten werden, wären katastrophale Auswirkungen zu befürchten.
Mehr als die Hälfte der planetaren Grenzen der Erde sind heute bedroht, und die meisten davon sind am Limit. Diese neue Forschungsarbeit schließt eine wichtige Lücke in der Analyse der „planetaren Grenzen“, denn bisher fehlten mehrere Daten, insbesondere zu den so genannten „neuen Stoffen“ (im engl. novel entities), neue synthetische oder veränderte Substanzen.
Die Katastrophe ist da, retten wir, was noch zu retten ist
Die Produktion Dieser neuen und aller chemischen Stoffe muss drastisch beschränkt werden, weil sie die Gesundheit des Erdsystems gefährden. Die Autor*innen der Studie fordern schnell politische Maßnahmen, um die Produktion und Einbringung von Schadstoffen zu reduzieren, auch im Hinblick auf eine sichere Kreislaufwirtschaft.
Wir von WECF fordern die Bundesregierung daher auf, sich für verbindliche Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene einzusetzen, um die Masse an Plastik und anderen Schadstoffen auf der Erde zu reduzieren. Gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen vertreten wir die Interessen der Zivilgesellschaft im SAICM Prozess für ein sicheres Chemikalienmanagement in der Zukunft. In unserem Call to action fordern wir ein SAICM-Beyond-2020-Framework, für ein wirklich nachhaltiges Chemikalienmanagement.
Mehr Infos
- Originalstudie
- Wege aus der Plastikkrise: Forderungen der deutschen Zivilgesellschaft
- Grafik: Wikimedia
Foto Header: Markus Spiske