“20 Jahre zu spät” – unser Rückblick auf die COP26
Text von Gina Cortés Valderrama | Übersetzt aus dem Englischen von Julika Zimmermann
Die 26. Konferenz der Vertragsparteien des UNFCCC (COP26) fand vom 31. Oktober bis zum 13. November in Glasgow statt. Diese COP hatte als zentrales Ziel, Länder aus der ganzen Welt zusammenzubringen, um greifbare und reale Vereinbarungen zu treffen, die es ermöglichen würden, gemeinsam auf die Erfüllung des Pariser Abkommens hinzuarbeiten. Die auf dieser Konferenz getroffenen Entscheidungen würden die “Spielregeln” für die Umsetzung spezifischer politischer Maßnahmen und Projekte zur Reduzierung der CO2-Emissionen und zur Anpassung an den Klimawandel festlegen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der Klimawandel nicht nur ein Umweltproblem ist, sondern auch eine soziale und politische Herausforderung mit einer hohen ethischen Komponente, bei der die Menschenrechte und das Wohlergehen der Lebewesen Vorrang haben müssen.
Millionen von Menschen leben bereits in einem permanenten Krisenzustand und sind ständig von den rasch eskalierenden Auswirkungen des Klimawandels bedroht. Dadurch werden Kreisläufe von Armut, Vertreibung, politischer Instabilität und Ressourcenkonflikten verschärft, insbesondere in Ländern des globalen Südens. Daher muss die lokale, regionale und internationale Klimapolitik nach dem Prinzip der Klimagerechtigkeit die Zusammenarbeit mit Gruppen sicherstellen, die bereits jetzt unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen sind – und zwar weil die Industrieländer extraktivistische Modelle in den Entwicklungsgebieten fördern.
Wurde dies auf der COP26 erreicht? Nein. Obwohl die britische Präsidentschaft die COP26 als die inklusivste COP ankündigte, wurden weder diese Ankündigung noch die tatsächlichen Klimaziele erreicht.
Virtuelle Garantien für die Beteiligung der Zivilgesellschaft: Upload in process…
Die Beschränkungen für eine sinnvolle Teilnahme an der COP26 begannen mit diskriminierenden Visaverfahren, hohen Unterbringungskosten und einer Impfstoff-Apartheid. Diese und andere Gründe verhinderten die Teilnahme von intersektionellen feministischen Gruppen, indigenen, Afro- und LGBTIQ+-Communities sowie von Jugendlichen und Landwirt*innen, hauptsächlich aus dem globalen Süden. Dies war jedoch nur der Anfang einer langen Liste von Hindernissen. Diejenigen, die es sich leisten konnten, diese zu überwinden, sahen sich vor Ort mit Einschränkungen konfrontiert, da der Zugang zu den Verhandlungsräumen auf 36 der 11 700 registrierten Beobachter*innen der Zivilgesellschaft während der COP beschränkt war. Die übrigen Teilnehmenden wurden eingeladen, die Verhandlungen auf einer virtuellen Plattform zu verfolgen, die jedoch nicht immer die gesamte Verhandlung übertrug.
Die Folgen der mangelnden Beteiligung spiegelten sich in den Schlussfolgerungen der COP wider. Ein klarer Spiegel der Ursachen der Umweltkrise. Entscheidungen, die einen großen Einfluss auf unsere Gegenwart und Zukunft haben werden, werden hauptsächlich von einer exklusiven und privilegierten Gruppe weißer Männer aus den Industrieländern getroffen, die Unternehmensakteur*innen bevorzugen, die finanzielle Profite über die Menschen stellen. Dabei werden die Stimmen von Frauen* in ihrer ganzen Vielfalt, von Jugendlichen, indigenen und Afro-Gemeinschaften nicht berücksichtigt. Wie Mary Robinson sagte: „The COP26 is too male, too pale, too stale“ (Dt: “Die COP26 ist zu männlich, zu blass, zu altbacken”).
Die COP macht Fortschritte – leider 20 Jahre zu spät
Der jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) über die wichtigsten Ergebnisse des Beitrags der Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht ist eindeutig: Der menschliche Einfluss auf den Klimawandel ist unbestreitbar. Es sind sofortige, schnelle, tiefgreifende und groß angelegte Treibhausgasreduzierungen erforderlich, die einen gesellschaftlichen und systemischen Wandel beinhalten. Der Klimawandel hängt von den Entscheidungen ab, die wir jetzt treffen. Und die Verhandlungen haben nicht das Maß an Ehrgeiz und Dringlichkeit erreicht, das zur Bewältigung dieser Krise erforderlich ist.
Die Vertragsparteien setzten sich für die Ausweitung von Marktmechanismen wie dem Emissionshandel ein, ohne auf die Verpflichtung der Staaten hinzuweisen, das Recht der afro-indigenen Völker auf freie, vorherige und informierte Zustimmung zu respektieren. Auch wenn in letzter Minute ein unabhängiger Beschwerdemechanismus sichergestellt wurde, lassen die Regeln für die Umsetzung von Artikel sechs des Pariser Abkommens Schlupflöcher, die dessen Ziele und den Schutz der Menschenrechte untergraben. Aber ebenso wie der Kohlenstoffhandel wurden auch andere Narrative weit verbreitet, die falsche Lösungen („False Solutions“) propagieren, wie die sogenannten naturbasierten Lösungen (NbS) und Net Zero. Sie stellen eine Bedrohung dar, die der Fortsetzung kolonialer und extraktivistischer Modelle den Weg ebnet.
Einer der kritischsten Punkte, der von den Industrieländern blockiert wurde, war die Klimafinanzierung. Die Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste (“Lost and Damage”) zur Entschädigung von Gemeinden, die bereits ihre Häuser und Lebensgrundlagen durch Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen und den Anstieg des Meeresspiegels verloren haben, erhielt von mehreren Ländern kein grünes Licht. Dieses mangelnde Engagement und Verantwortungsbewusstsein findet in einem Kontext statt, in dem sich laut dem neuen Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe im Jahr 2020 auf 6 Billionen Dollar belaufen, was 11 Millionen Dollar pro Minute entspricht. Nur 8 Prozent der Subventionen für das Jahr 2020 entfallen auf zu niedrige Preise für Versorgungskosten (explizite Subventionen) und 92 Prozent auf zu niedrige Preise für Umweltkosten und entgangene Verbrauchssteuern (implizite Subventionen). Zum ersten Mal wurde der Begriff “fossile Brennstoffe” (mit Ausnahme von Öl und Gas) und die Notwendigkeit eines schrittweisen, aktiven Ausstiegs (phase-down) aus der Kohleverstromung und ineffizienten Subventionen für fossile Brennstoffe in den endgültigen Text aufgenommen – anstatt sie wie bisher auslaufen zu lassen (phase-out), wie Wintermode am Ende der Saison. Dies ist zwar ein Schritt nach vorn, da einer der Hauptverursacher*innen der Klimakrise konkret benannt wird, doch bietet der Text keine klaren Leitlinien für eine transformative Politikgestaltung.
Power to the people: Klimagerechtigkeit!
Eines ist sehr deutlich geworden: die Stärke der Bevölkerung. Es ist die Zivilgesellschaft, die mit Nachdruck demonstriert und klare Vorschläge und Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft fordert. Dies spiegelte sich in dem Climate March am 6. November wider, bei dem mehr als 250.000 Menschen zusammenkamen, um ihre Stimme zu erheben. Indigene Gemeinschaften, Afros, LGBTIQ+, Frauen*, Jugendliche, Landwirt*innen und viele andere Gruppen forderten, dass ihre Regierungen und die in Glasgow versammelte internationale Gemeinschaft zu substanziellen Schlussfolgerungen kommen, in denen Menschenrechte und gerechte Klimaschutzmaßnahmen eine Priorität darstellen. Mehrere feministische Gruppen aus der Women and Gender Constituency (WGC), die in Glasgow anwesend sein konnten und ihre Gemeinschaften vertraten, demonstrierten mit, um unsere Botschaft und unsere Hauptforderungen an die Ergebnisse der COP26 deutlich zu machen.
Vertreter*innen der zivilgesellschaftlichen Gruppen des UNFCCC, darunter auch der WGC, haben die Bühne der COP26 für eine gemeinsam mit der COP26-Koalition organisierte “People’s Plenary“-Sitzung betreten. Nachdem wir unsere Stimme für Klimagerechtigkeit erhoben hatten, verließen Hunderte von Menschen das Plenum, sangen dabei “People’s Power” und hielten eine rote Linie in ihren Händen. Die Rote Linie symbolisiert die Grenze, die der 26. UN-Klimagipfel überschritten hat, indem er nicht das dringend erforderliche gerechte Ergebnis lieferte.
Darüber hinaus wurde mit verschiedenen Kampagnen und Demonstrationen innerhalb und außerhalb der COP die Beteiligung der abwesenden Menschen praktisch integriert, indem ihre Stimmen auf der Konferenz und in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MissingVoicesCOP26 verstärkt wurden. Der WGC führte eine #FeminstClimateJustice-Kampagne durch, bei der ein explizites Thema tagtäglich durch bunte Masken symbolisiert wurde, um eine größere Aufmerksamkeit zu erreichen. Dies war ein erfolgreicher Treffer, da die Kampagne in wichtigen Medien wie der BBC und The Guardian veröffentlicht wurde.
So sieht geschlechtergerechter Klimaschutz aus!
Die Regierungen fielen nicht gerade durch ihre Vorbildfunktion bei ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen auf. Es waren vielmehr von Frauen* geleitete lokale Initiativen, die auf hochrangigen Veranstaltungen während der COP26 beispielhafte und transformative Modelle für die Anpassung an den Klimawandel und seine Eindämmung vorstellten. Dies gilt für das Projekt von Pauline Lancon, Preisträgerin des Jahres 2019, die als Rednerin an der von der britischen Präsidentschaft organisierten Podiumsdiskussion teilnahm, an der auch Dr. Rose Mwebaza, Direktorin des UN Climate Technology Centre and Network (CTCN), Dr. Tamsin Edwards, IPCC-Autorin und Klimawissenschaftlerin, und viele andere teilnahmen. In dieser Diskussionsrunde betonte Pauline, wie wichtig es ist, die Geschlechterperspektive bei der Umsetzung von Technologien, Innovationen und Wissenschaft einzubeziehen. Auch Lucie Gamond-Rius, Preisträgerin 2021, und Trupti Jain, Gewinnerin 2018, nahmen am Gender-Dialog teil, der von UN Women während des Gender-Tags organisiert wurde. Dank ihrer Erfahrung in der engen Zusammenarbeit mit Communities tauschten die beiden Vertreterinnen Erfahrungen und bewährte Praktiken aus, wie Anpassungs- und Abschwächungstechnologien geschlechtergerecht gestaltet werden können. WECF zeigte auch sein starkes Engagement für die biologische Vielfalt, indem er eine Veranstaltung im französischen Pavillon ausrichtete. Auf der Grundlage ihrer praktischen Erfahrungen diskutierten Karen Dubois und Dorothee Lisenga – ebenfals Gewinnerinnen des Gender Just Climate Solutions Award – mit Ronan Dantec, französischer Senator, und Jean-Luc Redaud, Mitglied von 4D, über die Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit.
Auf der Podiumsdiskussion des Side Events der Europäischen Union zum Thema „Just Transition“ brachte WECF Direktorin Sascha Gabizon feministische Makel in der Energiewende auf den Tisch: Energiearmut in Europa betrifft vor allem alleinerziehende Frauen*, der European Green Deal hält an patriarchalen Maßstäben fest und Gelder fließen vor allem an Stellen, wo männlich sozialisierte Menschen davon profitieren. Sie machte deutlich, dass die Einbeziehung intersektionaler Aspekte in die anstehenden Transformation unumgänglich ist und dass „ein geschlechtergerechter Green Deal der Gesellschaft und der Wirtschaft zu gute kommt“.
Während der sechsten Verleihung der Gender Just Climate Solutions Awards waren wir sehr stolz, die neuen Preisträgerinnen bekannt zu geben und unsere Publikation vorzustellen. Die Gender Just Climate Solutions Awards zeigen, dass relevante geschlechtergerechte Klimalösungen bereits auf der ganzen Welt umgesetzt werden. Sie zielen auf transformative, integrative Entwicklungsmodelle ab und tragen dazu bei, Wachstum neu zu denken. Mit echten Verpflichtungen seitens der Regierungen, z. B. in Bezug auf Finanzen und Technologie, können wir diese inklusiven Lösungen ausbauen, damit sie nicht nur lokal, sondern auch auf globaler Ebene erhebliche Auswirkungen haben.
Wir kommen voran, wir werden stärker
Eine der wichtigsten Errungenschaften dieser Konferenz war die Sicherung eines Sitzes im CTCN-Vorstand für die Wahlkreise YOUNGO, Organisationen indigener Völker und Frauen und Gender Constituency. Nach der Lobbyarbeit, die WECF zusammen mit Vertreter*innen verschiedener Gruppen in den letzten Jahren geleistet hat, haben diese Gruppen etwas erreicht, was in einem parteigebundenen Prozess einzigartig ist: Sie haben eine Stimme in einem Entscheidungsfindungsmechanismus zum Klimawandel erhalten.
Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung Integration und Verständnis der Prioritäten, Bedürfnisse, aber vor allem der Lösungen, die Jugendliche, indigene Gemeinschaften und Frauen* in ihrer ganzen Vielfalt zur Bewältigung des Klimawandels beitragen können. Es ist ein Schritt nach vorn, um die sinnvolle Beteiligung und den Beitrag von Gemeinschaften an vorderster Front in Entscheidungsräumen zu gewährleisten.