Sozial-ökologisch ausgerichtete Konjunkturpolitik – auch geschlechtergerecht?

Die Studie Sozial-ökologisch ausgerichtete Konjunkturpolitik in und nach der Corona-Krise, die vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben wurde, zeigt Maßnahmen auf, mit denen gleichzeitig sowohl die Corona-bedingte Konjunkturkrise bekämpft, als auch Beiträge zur sozial-ökologischen Transformation geleistet werden können. Also heute das „Richtige“ tun und dabei an morgen denken, d.h. Maßnahmen implementieren, die kurzfristige Interessen (konjunkturelle Stabilisierung) mit der Langfristperspektive (Stärkung ÖPNV, resiliente Gesellschaften) verbinden. Das ermöglicht einen nachhaltigen Strukturwandel. Ein bemerkenswerter Vorschlag von Frau Bundesministerin Svenja Schulze, die in einem Vernetzungstreffen für weibliche Führungskräfte von deutschen Umweltverbänden am 27.5.2020 den 4-Sprung der Studie vorstellte, mit dem Konjunktur- und Klimapolitik eng verzahnt werden können:

  1. Elemente klassischer Konjunkturprogramme mit klimapolitischen Akzenten versehen
  2. Einstieg und Ausbau von mittelfristig ohnehin erforderlichen Förder- und Investitionsprogrammen zur Konjunktur-Stützung beschleunigen
  3. Preissignale für einen klimafreundlichen Wandel der Lebens- und Produktionsweisen geben
  4. Mittel- und langfristig die Finanzierung klimapolitischer Ausgaben sichern

Maßnahmen u.a. in den Bereichen Ausbau öffentlicher Nahverkehr, Schutzschirm für Kommunen, Ausbau erneuerbarer Energien setzen die richtigen Akzente.

Doch wie kann ein – zugegebenermaßen ambitioniertes – Konjunkturprogramm gelingen, das Geschlechtergerechtigkeit ausblendet? Wie sehen doch alle die verschärften Gender-Ungerechtigkeiten in der Corona-Krise und die Menschen in den systemrelevanten Berufen (mehrheitlich Frauen) werden zwar beklatscht, aber noch immer nicht gerecht entlohnt: (Quelle: GenderCC)

  • Deutliche Zunahme der Pflege-, Care- und Erziehungs-/Bildungsarbeit (Homeschooling) in privaten Haushalten, Pflege- und Erziehungseinrichtungen.
  • Zusätzliche Belastungen durch Homeoffice in Zeiten, in denen Kinder nicht in Kita und Schule versorgt werden, erhöhter Aufwand für Einkaufen, Kochen, Putzen, etc.
  • Risiken durch Ansteckung und Überbelastung in Pflege- und Versorgungsberufen bei schlechter Bezahlung und schlechten Bedingungen (85% Frauen).
  • Einschränkung der reproduktiven Rechte einschließlich der entsprechenden Versorgung, u.a. bei der pränatalen Versorgung.
  • Unsichtbarkeit derjenigen, die innerhalb der privaten Haushalte diese Arbeit leisten.
  • Zunahme der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Kinder.
  • Geringer Anteil von Frauen bei den Expert*innen in Beratungs- und Entscheidungsgremien mit der Folge, dass die für sie relevanten Themen tendenziell weniger beachtet werden (z.B. Leopoldina). Geringere Sichtbarkeit der weiblichen Expertinnen (z.B. Virologinnen) in Medien.

Genau hier kann ein geschlechtergerechtes Konjunkturprogramm ansetzen: Ein kommunaler Schutzschirm würde in die Bereiche nachhaltige öffentliche Daseinsvorsorge, Mobilität, Gesundheit und Bildung investieren. Das Papier nennt z.B. Förderung von Ganztagsschulen und des sozialen Wohnungsbaus. Beides könnte die Sorgeökonomie stärken und klassische patriarchale Muster aufbrechen. Gewalt gegen Frauen und Kinder kann abnehmen, wenn Familien-Budgets entlastet würden und vulnerable Menschen sich größere Wohnungen abseits von lärm- und stickstoffoxid-dichten Straßen leisten könnten. Beim Ausbau der Kitas oder Ganztagsschulen könnten Kommunen darauf achten, Gehälter anzuheben, den Gender Pay Gap zu schließen und Rollenbilder wie typische Frauen- bzw Männerberufe durch Anreize aufbrechen.

Förderprogramme zu Energieeffizienz würden geschlechtergerecht ausgestaltet  – was bisher auch in Deutschland nicht der Fall ist, wie eine Studie von WECF zu Energiearmut zeigt. Wir wissen, dass Frauen durch Altersarmut und prekäre Arbeitsverhältnisse mehr von Energiearmut betroffen sind und wenig Zugang zu Fördertöpfen haben.

Beim geforderten Ausbau von ÖPNV und Fahrradwegen oder auch bei Elektromobilität für Pflegekräfte, die, wie Ministerin Schulze ausführte, mit veralteten CO2-lastigen PKWs die Pflegestellen anfahren, müssen die kürzeren und komplizierteren Wegstrecken der Menschen, die sich um Kinder, alte oder kranke Menschen kümmern, im Vordergrund stehen. Das sind meist Frauen.

Es ist nicht schwierig, grüne Konjukturprogramme auch sozial- und geschlechtergerecht zu gestalten. Wir haben die Instrumente! Z.B. Gender Impact Assessments und Gender Budgeting sollten für alle Mittel, die im Rahmen des Konjunktur- und Aufbaufonds ausgegeben werden, Anwendung finden. Sie werden seit Jahren gefordert.

Nein, wir dürfen keinen Rückschritt beim Thema Gendergerechtigkeit in der Krisenbewältigung erlauben. Angesichts der gewaltigen Aufgabe, die vor uns liegt, gibt es einen einfachen Grund, warum die Krisenbewältigung geschlechtergerecht verlaufen muss: Es ist der einzig gerechte Weg.

 

Weitere Informationen