Quecksilber in aller Munde – NGOs fordern Amalgam-Ausstieg bis 2025

„Neue Medizinprodukte-Verordnung reicht nicht“

 

Bonn, 26.05.2021. Wir von WECF, Women Engage for a Common Future, fordern gemeinsam mit 50 Organisationen und Expert*innen von der Bundesregierung den Ausstieg aus der Verwendung von Quecksilber in der Zahnmedizin bis spätestens 2025. Amalgamfüllungen bestehen zu 50 % aus hochgiftigem Quecksilber und stellen ein Risiko für Umwelt und Gesundheit dar. Da auch die neue Medizinprodukte-Verordnung, die heute in Kraft getreten ist, nicht sicherstellt, dass keine Amalgamfüllungen mehr zugelassen werden, fordern die Unterzeichner*innen der Bonner Amalgam-Erklärung einen Beschluss der Regierung.

 

 

Die EU Medizinprodukte-Verordnung war aufgrund des Brustimplantate-Skandals von 2012 überarbeitet worden. Damals kamen zahlreiche Frauen* durch Implantate mit Handwerker-Silikon zu Schaden. Ab heute müssen Medizinprodukte deutlich schärfere Zulassungsbedingungen erfüllen und alte Zertifikate bleiben nur noch bis spätestens zum 26. Mai 2025 gültig. Auch bei Zahnfüllungen muss jetzt genau nachgewiesen werden, welche Menge an schädlichen Stoffen über den gesamten Lebenszeitraum freigesetzt werden können. Amalgamfüllungen mussten diese Anforderung bisher nicht erfüllen und könnten daher vom Markt verschwinden. Doch ist nicht auszuschließen, dass sie eine Sonderzulassung bekommen.

„Die Freisetzung des hochgiftigen Quecksilbers hängt von zahlreichen Faktoren, wie der Verarbeitung und dem Alter der Füllung, vom Zähneknirschen oder Trinken von heißen Getränken ab. Besonders Quecksilberdampf wird vom Körper aufgenommen und gespeichert. Für vulnerable Personen kann ein Risiko nicht ausgeschlossen werden“ so Reinhard Lauer, Vorsitzender des Bundesverbands der Beratungsstellen für Umweltgifte.

Auch Sylvia Gabel, Referatsleiterin Zahnmedizin, des Verbands medizinscher Fachangestellter, setzt sich für einen Amalgam-Ausstieg ein: „Beim Arbeiten mit Amalgam in der Praxis wird Quecksilberdampf freigesetzt. Da 99 % der zahnmedizinischen Fachangestellten in Deutschland weiblich sind und Quecksilber sowohl schädlich für die Fruchtbarkeit als auch das ungeborene Kind ist, sind wir einem besonderen Risiko ausgesetzt.“

In der Bonner Amalgam-Erklärung sind 21 Gründe aufgeführt, die darauf hinweisen, dass Amalgamfüllungen nicht nur ein direktes Gesundheitsrisiko bergen, sondern erheblich zur Umweltverschmutzung mit Quecksilber beitragen. In der Umwelt sind die Konzentrationen seit der industriellen Entwicklung stark angestiegen und zu einem globalen Problem geworden. International wird mit der Minamata-Konvention versucht, die Emissionen einzudämmen. Für die Überarbeitung des Abkommens (2022) hat die Afrikanischen Region jetzt gefordert, auch die Herstellung und Einfuhr von Amalgam ab 2027 zu verbieten. Gerade Länder des Globalen Südens müssen für den Umgang mit Amalgamabfällen erst eine kostspielige Infrastruktur für Sondermüll aufbauen. Daher wollen sie lieber gleich auf Amalgam verzichten.

Die Europäische Kommission hat ihrerseits untersucht, ob in der EU ein Amalgam-Ausstieg bis 2030 oder früher möglich wäre und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar ist. Daher wird derzeit an einem Gesetzgebungsvorschlag gearbeitet. Doch für die Umsetzung ist die Zustimmung der Bundesregierung notwendig. Der Beschluss eines Amalgam-Verbots in Deutschland, wie ihn die Bonner Amalgam-Erklärung fordert, hätte eine große Tragweite. Deutschland wäre dabei nicht einmal Vorreiter: Italien hat gerade erst angekündigt, bis zum 31.12.2024 aus der Verwendung von Amalgam auszusteigen und in Schweden und Norwegen ist Amalgam seit über 10 Jahren verboten.

 

Florian Schulze, Geschäftsführer der IG Umwelt-Zahnmedizin und Initiator der Kampagne erklärt, warum sich so viele Unterstützer*innen aus verschiedenen Bereichen der Forderung angeschlossen haben: „Die Verwendung von Quecksilber in der Zahnmedizin hat nicht nur Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit, sondern auch konkrete Folgen für die Kreislaufwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Es entstehen Kosten für die ganze Gesellschaft.“

Johanna Hausmann von Women Engage for a Common Future sagt: „Wir müssen dringend anfangen, die Belastungen durch Chemikalien zu verringern. Für uns und zukünftige Generationen. Von Quecksilber wissen wir, dass es – schon pränatal – nicht nur die Entwicklung der Intelligenz unserer Kinder stört, sondern auch zu schweren gesundheitlichen Schäden führen kann. Sobald Mütter es über Fisch und andere Lebensmittel aufnehmen, geben sie es ungewollt während der Schwangerschaft weiter. Bei der Zulassung von Alltags- und Medizinprodukten, müssen wir zusätzliche Belastungsquellen unbedingt vermeiden.“

Dr. med. Claus-Hermann Bückendorf vom Berufsverband Klinischer Umweltmediziner fügt hinzu: „Seit über 30 Jahren beobachten wir einen starken Anstieg von chronischen Erkrankungen. Wir werden es uns nicht leisten können, den Fokus weiter auf die Behandlung von Symptomen zu legen, sondern müssen dringend anfangen, die Ursachen zu vermeiden. Auch kleine Mengen Quecksilber können chronische Beschwerden auslösen, insbesondere bei vulnerablen Patient*innen, deren Fähigkeit eingeschränkt ist, das toxische Metall auszuscheiden.“

Dabei gibt es ausreichend alternative Materialien, die von vielen Zahnärzt*innen, wie Dr. Andreas Lozert von der IG Umwelt-Zahnmedizin, ausschließlich verwendet werden: „In der modernen Zahnheilkunde sind Zahnärzt*innen nicht mehr auf Amalgam angewiesen. Seit meinem Studium vor 25 Jahren habe ich, wie die meisten meiner Kolleg*innen, keine Amalgamfüllungen mehr gelegt und kann meine Patient*innen sehr gut mit Alternativen versorgen. Generell haben Alternativen den Vorteil, dass sie zahnschonender eingebracht werden können.“

Initiator Florian Schulze führt weiter aus: „Schließlich müssen aber gesetzliche Krankenkassen die zuzahlungsfreie Standardversorgung auf alternative Füllungen anpassen, sodass auch Patient*innen mit geringen Einkommen damit versorgt werden können. Gerade Geringverdiener*innen haben häufiger Vorerkrankungen, wodurch Amalgamfüllungen zu einem zusätzlichen Risiko werden.“

 

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