POLITISCHE ÖKOLOGIE | Schädliche Fluorchemikalien – Verschwenderischen Einsatz stoppen

Ein Artikel unserer Kolleg*innen Johanna Hausmann und Hanna Mertes, erschienen in: Politische Ökologie 04/22: Zukunftsfähige Chemie – Impulse für eine nachhaltige Stoffpolitik.

Sind langlebige, giftige Stoffe erst einmal in die Umwelt gelangt, bleiben sie unumkehrbar dort. Um die Natur sowie die Gesundheit von Menschen und Tieren vor den negativen Wirkungen dieser Chemikalien zu schützen, muss die ganze Stoffgruppe verboten werden.

 

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Politische Ökologie: Zukunftsfähige Chemie - Impulse für eine nachhaltige Stoffpolitik

PFAS kommen natürlicherweise nicht vor. Seit den 1940er-Jahren werden sie industriell hergestellt und erfreuen sich weiterhin hoher Beliebtheit, wie ein Blick auf die monatlich etwa 400 Patentanmeldungen in den USA mit dem Kürzel „perfluor-“ zeigt. Fluorchemikalien werden auch als perfluorierte Tenside, PFT, oder per- und polyfluorierte Chemikalien, PFC, bezeichnet. Das chemische Grundgerüst von PFAS-Verbindungen besteht aus Kohlenstoffketten. Die normalerweise an Kohlenstoffketten befindlichen Wasserstoffatome sind in PFAS komplett (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt. Daher rühren ihr Name, die PFAS-typischen Eigenschaften und die Breite der Anwendungsmöglichkeiten.

Obwohl viele Produkte PFAS enthalten, ist nur wenig darüber bekannt, wie die Substanzen in Europa eingesetzt werden – also in welchen Produkten welche PFAS in welcher Menge vorkommen. Zudem ist von den aktuell – circa 9.000 – eingesetzten Fluorchemikalien nur ein Bruchteil wissenschaftlich ausreichend untersucht. Die Studienergebnisse der wenigen PFAS zeigen jedoch, dass die Substanzen wegen ihrer Gefahren für Mensch und Umwelt dringend verboten beziehungsweise die Anwendungsmöglichkeiten eingeschränkt werden sollten.

Gesundheitsrisiko Ewigkeitschemikalien

PFAS sind toxisch, also giftig für Menschen, Tiere und die Umwelt. Wir Menschen sind über unterschiedliche Quellen vielen verschiedenen PFAS-Verbindungen gleichzeitig ausgesetzt. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Anwendungsgebiete finden sich die Stoffe nahezu überall um uns herum. Da alle Umweltkompartimente (Boden, Luft, Wasser, Erdkruste) und auch das Regenwasser mit PFAS belastet sind, nehmen wir Menschen PFAS über die Atemluft, die Nahrung (belastete Böden, Nahrungsmittelverpackungen) und das Trinkwasser auf. PFAS können Trinkwasseraufbereitungsanlagen passieren, was ein zunehmendes Problem in Regionen mit entsprechender Industrie, Flughäfen, Feuerwehreinrichtungen oder Abfallbeseitigungsanlagen ist. PFAS sind mobil – sie sind in Pflanzen, Tieren, in uns Menschen und in den Polarregionen, und damit weitab von jeder Zivilisation, nachweisbar. Über PFAS-haltige Pflege- oder Kosmetikprodukte gelangen die Substanzen durch die Haut in den Körper. Die Daten der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (GerES V) zeigen, dass beinahe 100 Prozent der untersuchten Drei- bis Siebzehnjährigen mit Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) oder Perfluoroktansäure (PFOA) belastet waren.

 

 

Die gesundheitlichen Auswirkungen sind nur für einen Bruchteil der zur Anwendung kommenden PFAS erforscht. Bei den untersuchten Verbindungen zeigte sich, dass sie hormonell wirksam waren und damit die Funktion von Hormonen im Körper beeinflussen sowie reproduktions- und immuntoxische Folgen haben können. Damit geht eine Vielzahl möglicher Krankheitsbilder einher, deren Auftretenswahrscheinlichkeit beziehungsweise Erkrankungsrisiko sich durch die Belastung mit PFAS erhöht. Studien zufolge sind zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen und Adipositas auf den Einfluss von Fluorchemikalien zurückzuführen. Effekte auf die Fruchtbarkeit, wurden mit einer verringerten Spermienqualität, einer verzögerten Pubertät, einer vorzeitigen Menopause und einem verringerten Geburtsgewicht in Verbindung gebracht. In Zusammenhang mit den analysierten PFAS zeigten sich zudem Leberschädigungen und ein möglicherweise erhöhtes Risiko für bestimmte Krebserkrankungen, unter anderem Nieren- und Hodenkrebs.

Da es sich bei PFAS um eine solch große Gruppe zu Anwendung kommender Substanzen handelt, sind die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den möglichen gesundheitlichen Folgeschäden besorgniserregend. Da Fluorchemikalien extrem langlebig sind, erhöht sich die Belastung, je mehr davon in die Umwelt und Produkte eingebracht werden.

Globales Ringen um bessere Regulierung

In Anbetracht der langfristigen Folgen für Umwelt und Gesundheit stellt sich die Frage nach der Regulierung von PFAS. Eigentlich sollte die Antwort lauten: PFAS sind verboten. Mit wenigen Ausnahmen ist dem jedoch mitnichten so. Als zwei wissenschaftlich gut untersuchte Verbindungen wurden PFOA und PFOS wegen ihrer Gefahren für Umwelt und Mensch verboten. Dort, wo PFOA und PFOS nicht mehr eingesetzt werden dürfen, werden sie oft durch andere PFAS-Verbindungen substituiert. Nicht weil diese erwiesenermaßen für Umwelt und Mensch ungefährlich sind, sondern weil die bisherigen wissenschaftlichen Daten nicht ausreichen, um ein Verbot zu rechtfertigen oder im Sinne des vorsorgenden Gesundheitsschutzes eine Anwendung »guten Gewissens« zuzulassen. Die Ersatzverbindungen unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur teilweise nur geringfügig von den wenigen verbotenen PFAS. Die sogenannte bedauerliche Substitution zeigt deutlich das Dilemma der vergangenen und gegenwärtigen Regulierung von PFAS.

„Während die erwiesene Langlebigkeit den PFAS den Spitznamen „Ewigkeitschemikalie“ eingebracht hat, sind die möglichen toxischen und bioakkumulativen Eigenschaften bisher nur unzureichend bekannt.“

2017 formulierten Wissenschaftler*innen in der Zürcher Erklärung, dass PFAS und deren Wirkweise dringend besser erforscht und Gruppenverbote ausgesprochen werden müssen. Da PFAS weltweit eingesetzt werden und somit überall auf der Welt in allen Umweltkompartimenten nachgewiesen werden können, besteht ein klarer globaler Regulierungsbedarf. Als internationaler Vertrag greift hier die Stockholm-Konvention, die persistente, organische Schadstoffe (sogenannte POPs) reguliert. PFAS sind gemäß den formulierten Zielen (exklusiv zu diskutierender unverzichtbarer Anwendungsgebiete) wie folgt eingeordnet:

  • PFOS und verwandte Verbindungen: weltweite Beschränkung seit 2009,
  • PFOA und verwandte Verbindungen: weltweite Eliminierung seit 2022,
  • PFHxS: weltweite Eliminierung seit 2022.

Gleichzeitig sind PFAS auch in dem Strategischen Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) als bedenkliche Problemstoffe, sogenannte Issues of Concern (IoC), charakterisiert. Dadurch sind sie im Fokus für ein sicheres Chemikalienmanagement. Ein Nachfolgeprozess für SAICM wird derzeit verhandelt (vgl. S. Interview ff). Die Beibehaltung von PFAS als IoC und eine entsprechende strengere Förderung einer Regulierung ist ein Muss.

In Europa arbeiten mit Deutschland vier weitere Mitgliedstaaten an einem Vorschlag zur Beschränkung aller PFAS ab dem Jahr 2025, gestützt durch die neue Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2020. Diese sieht vor, peu à peu den Einsatz von PFAS in allen nicht wesentlichen Anwendungen auslaufen zu lassen. Grundlage der europäischen Chemikaliengesetzgebung ist REACH. Die REACH-Verordnung regelt die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien in Europa und trat 2007 in Kraft. So sind aufgrund der oben beschriebenen, typischen Eigenschaften einige PFAS-Untergruppen als besonders besorgniserregende Stoffe klassifiziert. Die Verwendungen dieser Stoffe bedürfen einer Zulassung, die nur befristet erteilt wird, wenn es keine geeigneten Alternativen gibt. Über die EU-POP-Verordnung sind auf europäischer Ebene PFOS in reiner Form seit 2010 verboten, 2020 folgten PFOA und Vorläuferverbindungen, die potenziell in PFOA umgewandelt werden können.

Ohne ein Gruppenverbot kein substanzieller Fortschritt

Die hohe zu erbringende Beweislast hemmt die weitere, dringend notwendige Regulierung beziehungsweise das Aussprechen eines Gruppenverbotes. Die derzeitigen Abkommen verlangen neben einer hohen Persistenz der zu regulierenden Substanz, dass auch deren Toxizität und Bioakkumulationsfähigkeit nachgewiesen werden. Während die erwiesene Langlebigkeit PFAS unter anderem den Spitznamen „Ewigkeitschemikalie“ eingebracht hat, sind die möglichen toxischen und bioakkumulativen Eigenschaften der vielen PFAS-Verbindungen wegen der dünnen Datenlage bislang nur unzureichend bekannt. Die bisherigen Ergebnisse toxikologischer Wirkungen einiger weniger Substanzen geben allerdings begründeten Anlass zur Sorge. Da es sich bei den PFAS um so viele Verbindungen handelt, kann nur ein Gruppenverbot die Gesundheit von Mensch und Umwelt wirksam schützen. Es sind zu viele, um sie einzeln zu untersuchen; einzelne Verbote werden durch das beschriebene Dilemma der Substitution unterlaufen.

Dies wirft die Frage auf, inwiefern das Vorsorgeprinzip, das Grundlage der deutschen, europäischen und internationalen Umweltpolitik ist, hier, wie auch in vielen anderen Fällen, wenn es um die Regulierung von Chemikalien geht, so greift, wie wir es als Umweltorganisation verstehen. Der Eintrag von erst im Nachhinein als toxisch klassifizierten, persistenten Chemikalien in die Umwelt ist nicht rückgängig zu machen. Aus Sicht von Nichtregierungsorganisationen sollte allein die extreme Persistenz Grund genug für eine strikte Regulierung sein. Geschlechtsspezifische Unterschiede, die unterschiedliche Gefährdung nach Lebensalter (Ungeborene und Kleinkinder) müssen darüber hinaus in der Chemikaliengesetzgebung endlich stärker mitgedacht werden.

Literatur

  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
    (2022): Leitfaden zur PFAS-Bewertung. www.lawa.de/documents/pfas-leitfaden-bf_2_
    1646139296.pdf
  • https://chemtrust.org/de/wp-content/uploads/sites/2/2020/02/CHEM-Trust-PFAS_
    Briefing_German_final.pdf
  • www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/uba_sp_
    pfas_web_0.pdf
  • Women Engage for a Common Future (2021): Geschlechtergerechte Chemikalienpolitik.
    Gemeinsam für eine giftfreie Zukunft. www.wecf.org/de/wp-content/uploads/2018/10/
    Gender-and-Chemicals-Hintergrundpapier_11.21.pdf

Weitere Literaturhinweise stellen die Autorinnen auf Anfrage gern zur Verfügung.

 

Zu den Autorinnen

a) Johanna Hausmann ist Politikwissenschaftlerin und Politikberaterin für Umwelt und Gesundheit. Für WECF ist sie als Senior Policy Advisor tätig. Sie engagiert sich auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene für eine strengere Chemikalienpolitik.

b) Hanna Mertes ist Gesundheitswissenschaftlerin. Sie beschäftigt sich damit, wie wir als Menschen mit unserer Umwelt verbunden sind.

Kontakt | Johanna Hausmann, Hanna Mertes | Women Engage for Common Future (WECF) | johanna.hausmann@wecf-consultant.org, hanna.mertes@wecf-consultant.org

 

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