„Period of Change“ und Zyklusgesundheit – wie unsere Kollegin in Hamburg ihre Vorurteile über Menstruationsaktivist*innen über Bord warf

von Julika Zimmermann

Ich war froh über die sechs Stunden Fahrtzeit mit dem Zug von München nach Hamburg. Meine Präsentation brauchte noch ihren letzten Schliff, was nicht einfach war, denn ich wusste nicht wirklich, wer in Hamburg auf der Konferenz Period of Change meinen Worten lauschen würde. Zyklusgesundheit. Wen würde das interessieren? Waren das intellektuelle Wissenschaftler*innen ohne Realitätsbezug? Oder spießige liberal-feministische Geschäftsfrauen? Alles, was ich wusste, war, dass ich eine halbe Stunde über unsere Broschüre Giftfreie Menstruation referieren sollte. Dabei fürchtete ich, die einzige Person einer intersektional-feministischen NGO zu sein und sah mich schon den Rest der Konferenz gelangweilt in einer Ecke sitzen, überfordert von so vielen Menschen im Raum und genervt darüber, dass die meisten nicht gescheit gendern würden, sondern nur von Frauen redeten. Dass es Frühstück geben sollte, war mein einziger Trost.

Doch es kam alles anders als befürchtet.

Es war zapfkalt, als ich am Morgen des 18.11.2022 mit einem ganzen Karton unserer Broschüren im Gepäck aus dem Altonaer Bahnhof stapfte. Ein eisiger Wind wehte gefrorenen Regen in mein Gesicht, den ich im ersten Moment für Schnee hielt. Hamburg zeigte sich von seiner besten Seite. Zum Glück hatte ich es nicht weit. Das Backsteingebäude der University of Europe war nur ein Steinwurf vom Bahnhof Altona entfernt. Dankbar flüchtete ich mich ins Warme.

Meine Laune stieg, als ich gleich an der Tür von zwei sympathisch lächelnden Frauen begrüßt wurde, die sofort wussten, wer ich war, nachdem ich meinen Namen nannte. Das war nett. Auf das Namensschild durfte ich meinen Vornamen schreiben und dann wurde mir ein Gutschein für Menstruationsunterwäsche in die Hand gedrückt. Schick, dachte ich. Das fing gar nicht mal schlecht an.

Zyklusgesundheit sogar am Buffet

Mein erstes Fettnäpfchen passierte mir am Buffet. Als ich in der Einladungs-E-Mail gelesen hatte, dass es zyklusgerechtes Essen geben würde, hatte ich mir nicht viel dabei gedacht. Dass es aber genau das meinte, was es sagte, hätte ich niemals vermutet. Ratlos vor diesem Buffett stehend wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt damit konfrontiert, dass mein Körper im Laufe seines Menstruationszyklus verschiedene Bedürfnisse haben könnte. Mal abgesehen von den Paracetamol, nach denen es ihm während der Periode besonders intensiv verlangte. Ich war zugegebenermaßen beeindruckt und fühlte mich vor allem dabei ertappt, als ich tatsächlich kurz überlegen musste, in welcher Zyklushälfte ich mich gerade befand. Peinlich. Einen ganzen Karton voll Broschüren über Menstruationsgesundheit im Gepäck, aber die eigene Menstruation überhaupt nicht präsent haben.

Hallo, Schubladendenken!

Das Klackern von Schuhen, das durch den Uni-Flur hallte, lenkte mich ab. Eine Frau kam um die Ecke. Sie hatte dunkles Haar und steckte in einem atemberaubenden roten Kleid und schwarzen, extrem hohen High-Heels. Doch es war weniger ihr Outfit, das ihr sofort Präsenz im Raum verlieh, sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der sie dieses Outfit trug und das Selbstbewusstsein, das sie damit ausstrahlte. Später erfuhr ich: Es war Elena Noller, Gründerin des Instituts für Zyklusgesundheit und Hauptveranstalterin dieser Konferenz. Elena Noller war zweifelsohne eine Frau, die sämtliches Schubladendenken über Feminist*innen oder Menstruations-Aktivist*innen durcheinanderbringen konnte. Sie war so intelligent wie sympathisch, nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um Blut, Depressionen oder Peinlichkeiten ging, sprach nicht nur von Frauen, sondern auch von Trans und nicht-binären Personen und war – naja – eben sexy. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Bei aller Unvoreingenommenheit – DAS hätte ich nicht erwartet.

Doch spätestens nach dem ersten Panel mit der Zyklus Beraterin Anne Lippold, der Gynäkologin Dr. Mirjam Wagner, dem Osteopathen Tobias Hopfner und anderen Expert*innen wurden mir alle Illusionen über meine eigene Kompetenz genommen. Mir wurde klar, dass ich sowas von null Ahnung von Zyklusgesundheit hatte. Nada. Ich war komplett ahnungslos von dem Hormonkarusell, das mein Körper jeden Monat durchmachte. Mir war nicht bewusst, wie verdammt wenig die klassische Gynäkologie von Zyklusgesundheit und damit zusammenhängenden Krankheiten weiß. Und vor allem – wie wahrscheinlich die meisten anderen Menschen auf diesem Planeten – dachte ich immer, Menstruationsschmerzen seien normal. Und wie wahrscheinlich die meisten anderen Menschen auf diesem Planeten, hatte ich als menstruierende Person gelernt, dass ich da halt durch müsse. Dass das „dazu gehöre“ – aber wozu eigentlich?

In der Regel keine Schmerzen

Menstruation muss nicht weh tun. Mehr noch: Menstruationsschmerzen sind nicht normal. Sie ergeben evolutionär keinen Sinn. Das ist der Ansatz, mit denen der Osteopath Tobias Hopfner und die Zyklus Coach Anne Lippold ihre Klient*innen erfolgreich behandeln und beraten. Insgesamt bluten Menstruierende in ihrem Leben sieben Jahre lang. 80 Prozent von ihnen haben dabei Schmerzen. Schon verrückt, dass uns als Gesellschaft und auch unseren Ärzt*innen dafür noch nichts besseres eingefallen ist, als Wärmflasche, Schmerzmittel und Zähne zusammenbeißen.

Nachhaltig beschäftigt hat mich aber vor allem der Vortrag  der gynäkologischen Therapeutin Dr. Almut Dorn über PMDS. Sie ist eine Sonderform von PMS, die Betroffene in der zweiten Zyklushälfte in schwere depressive Stimmungen versetzt.

Von diesen 80 Prozent haben nochmal 10 Prozent so starke Beschwerden, dass ihr Leben schier unerträglich wird. Betroffene erzählten von ihren Geschichten und Erlebnissen mit Endometriose, PMS (Prämenstruelles Syndrom) und PMDS (prämenstruelle dysphorische Störung). Ersteres wird oft extrem spät erkannt und mit wenig hilfreichen ärztlichen Ratschlägen abgefertigt. Zweiteres gilt allgemeinhin vor allem als „Zickenphase“, was die körperlichen hormonellen Einflüsse total verkennt und uns daran hindert, während der PMS-Phase selbstfürsorglich zu handeln. Nachhaltig beschäftigt hat mich aber vor allem der Vortrag  der gynäkologischen Therapeutin Dr. Almut Dorn über PMDS. Sie ist eine Sonderform von PMS, die Betroffene in der zweiten Zyklushälfte in schwere depressive Stimmungen versetzt. Unkontrollierbare Wutanfälle und sogar Suizidgedanken können dazu gehören. Da sie aber zu Beginn des nächsten Zyklus wie weggeblasen scheint, kann die PMDS nicht wie eine gängige Depression behandelt werden.

Giftfreie Menstruation für mehr Gesundheit

All das hat mich für meinen Impulsvortrag über giftfreie Menstruation enorm bestätigt. Denn wir wissen, dass Inhalts- und Zusatzstoffe von herkömmlichen Menstruationsprodukten bisher schwer abschätzbare Folgen haben können, zu denen auch Zyklus- und Menstruationsbeschwerden gehören. Dem entsprechend ist die WECF Broschüre „Giftfreie Menstruation“ auf erfreulich großes Interesse gestoßen. Vielen war beispielsweise nicht bewusst, dass Menstruationsprodukte teilweise bis zu 90 Prozent aus Plastik bestehen, inklusive all der bedenklichen Chemikalien, die damit einher gehen. Ergänzt wurde das Thema rund um nachhaltige und gesunde Menstruationsprodukte von der Expertin für Verbraucher:innenschutz Teresa Löckmann von der Universität Potsdam und von der Hebamme Josefine Marwehe, die Gründerin des Periodenladens Berlin. In dessen Online-Shop sind noch mehr nachhaltige – und teilweise auch etwas verrückt klingende – Menstruationsprodukte zu finden als wir in unserer Broschüre vorstellen.

Menstruation ist alles andere als banal. Der Umgang mit Menstruation ist für Menstruierende vielmehr ein entscheidender Schlüssel zur uneingeschränkten Teilhabe an Gesellschaft und öffentlichem Leben.

Es war ein Jammer, dass die Teilnehmendenzahl der Konferenz eher überschaubar war. Sie wurde vielmehr zu einem Austauschforum verschiedenster Expert*innen. Nichts desto trotz – oder vielleicht genau deswegen – habe ich persönlich extrem viel gelernt. Dazu wurde mir ein neuer Respekt vor unseren Körpern verliehen. Mir ist bewusst  geworden, dass es allemal wert ist, sich mehr mit ihm und seinen Hormonen zu beschäftigen. Nicht nur auf individueller Ebene. Sondern auch auf politischer. Sitzungen bei Osteopathen oder Zyklus Coaches sind nämlich etwas Exklusives. Sie sind Menschen vorbehalten, die das Geld dafür haben, sich die Zeit nehmen können und einen gewissen Bildungsstand haben, der sie darin geschult hat, sich Wissen über komplexe Körpervorgänge anzueignen.

Zyklusgesundheit darf kein Luxus sein

Aber Zyklusgesundheit sollte nicht diese Aura von Luxus und Exklusivität haben, der sie momentan umgibt. Gesunde und nachhaltige Menstruationsprodukte sollten ebenso wenig Luxus sein. Jeder Mensch hat ein Recht auf Gesundheit und eine gesunde Lebensführung, darum sollten auch alle Menschen kostenlosen (oder mindestens erschwinglichen) Zugang zu gesunden und nachhaltigen Menstruationsprodukten haben. Periodenläden sollte es eigentlich wie Drogeriemärkte an jeder Ecke geben. Gynäkolog*innen sollten das Wissen und die Zeit haben, ihre Patient*innen umfassend zu untersuchen und nicht nur einmal schnell in die Vagina gucken, ob noch alles da ist. Wie alles da ist, ist unter Umständen entscheidender.

Es gibt also mehrere Stellschrauben: Die Politik, das Gesundheitssystem und die Lehre, bzw. Bildung. All diese Systeme sind patriarchal geprägt. Das ist extrem problematisch. Das Thema Menstruation wird in all diesen Bereichen auffallend entschieden gemieden und banalisiert. Darum erscheint uns allen Menstruation als etwas total banales. Aber sie ist alles andere als banal. Der Umgang mit Menstruation ist für Menstruierende vielmehr ein entscheidender Schlüssel zur uneingeschränkten Teilhabe an Gesellschaft und öffentlichem Leben.

 

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