Menstruationsmärchen – Warum wir 90 Jahre nach Erfindung des Tampons immer noch um Aufklärung kämpfen 

von Clara Kraske

Es ist Environmenstrual Week 2023! Diese Woche haben sich Feminist*innen und feministische Organisationen den unterschiedlichsten Aspekten der Menstruation gewidmet. Egal ob nachhaltige Menstruationsprodukte, Periodenarmut, reproduktive Gesundheit oder Stigmata. In dieser Woche ist kein Thema tabu. Und wer jetzt denkt: “Halt stopp! Die große Enttabuisierung hat doch schon vor etlichen Jahren stattgefunden, heute können wir doch längst das Thema mit nicht menstruierenden Personen beim Abendessen besprechen und den cis männlichen Mitbewohner zum Tamponkaufen schicken” – die Person ist hier genau richtig. Bleib dran und lies weiter! 

2023 und wir müssen immer noch aufklären und kämpfen? 

Ja, denn leider ist Menstruation nach wie vor mit Scham behaftet und in vielen Kreisen als Gesprächsthema tabu. Das Gleiche gilt für Menstruationsprodukte und ihre Verwendung. Und davon verbrauchen wir eine ganze Menge: Summa summarum verbrauchen Menstruierende während ihres Lebens durchschnittlich 180 Kilogramm an Menstruationsprodukten.  

Damit ist offensichtlich, dass allein die schiere Menge ein Problem ist – auf alle Fälle für die Umwelt. Nicht nur die Entsorgung, sondern auch die Herstellung stellen dabei einen für die Umwelt besorgniserregenden Faktor dar. Denn Menstruationsprodukte bestehen teilweise bis zu 90 Prozent aus Erdölkunststoffen und können gefährliche Chemikalien wie Bisphenole, Phthalate, Parabene, Dioxine usw. Enthalten. Die in der Herstellung verwendeten Chemikalien befinden sich dann nicht nur in den (Einweg-)Menstruationsprodukten selbst, sondern gelangen mit ihrer Entsorgung in die Umwelt und schaden ihr erheblich. 

Weniger offensichtlich, aber genauso wichtig: Menstruationsprodukte sind ein Problem für unsere Gesundheit.  

Die eben erwähnten Chemikalien in Menstruationsprodukten werden mit der Entstehung zahlreicher Krankheiten in Verbindung gebracht. Unter der Vielzahl verschiedener Inhalts- und Zusatzstoffe in herkömmlichen Tampons, Binden und Co befinden sich auch Chemikalien, die wie Hormone wirken: sogenannte endokrine Disruptoren (EDCs).

Diese können z.B. die hormongesteuerten Abläufe im Körper stören und sich im Körper anreichern. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden EDCs mit Fruchtbarkeitsstörungen, z.B. Zyklusstörungen und verringerter Spermaqualität, verzögerter oder verfrühter Pubertät bei Mädchen, neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern, Immunstörungen sowie hormonbedingten Krebserkrankungen in Zusammenhang gebracht. Schon absurd, oder? Von diesen Aspekten der Menstruation wird uns nichts erzählt, wenn wir in dem Werbespot vor dem nächsten YouTube-Video der menstruierenden Super-Power-Frau beim Schlittschuhlaufen und Joggen zuschauen, die dank dem mega-saugstarkem und mit Duftstoffen versetztem Item in ihrer Vagina oder ihrem Slip, die beste Zeit ihres Lebens zu haben scheint.  Mehr zu Giften in eurer Vagina und eurem Slip findet ihr in unserem Infozine Giftfreie Menstruation >>

Periode können sich doch alle leisten! 

Nicht ganz. Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der Menstruation, der auch gerne vergessen wird, ist die finanzielle Dimension. Gehen wir davon aus, dass eine menstruierende Person im Durchschnitt fünf Tage im Monat blutet und insgesamt 450 Perioden hat, dann kommen wir auf umgerechnet 2.700€ im Leben. Eine ganz schöne Summe, oder? Und erst seit 2020 werden Menstruationsprodukte in Deutschland mit dem einfachen Steuersatz von 7% besteuert, davor wurden auf sie noch der Höchstsatz von 19 % Mehrwertsteuern erhoben. Übrigens sprechen wir hier nur von den durchschnittlichen Kosten, die bei (Einweg-) Menstruationsprodukten anfallen. Alle anderen mit der Periode verbundenen Kosten, wie beispielsweise für Schmerzmittel, werden hier nicht berücksichtigt.  

 Periodenarmut, gibt es das? 

Ja! Stellen wir uns jetzt mal vor, dass zu den eben genannten Faktoren auch noch hinzukommt, dass uns der Zugang zu sicheren und hygienischen Menstruationsprodukten während der monatlichen Periode, sowie der Zugang zu grundlegenden sanitären Diensten oder Einrichtungen fehlt, dann stecken wir mitten in der Periodenarmut. Periodenarmut kann nicht nur gesundheitlich schwerwiegende Folgen haben, sondern auch Bildungschancen gefährden, die für die Gleichstellung der Geschlechter von immenser Bedeutung sind. Eine Lebensrealität, von der auch unsere Partnerinnen der Organisation Idoni Yamansi berichten, die in südafrikanischen Townships gegen Periodenarmut kämpfen. Auf Grund der dort weit verbreiteten Periodenarmut, die 30% der Mädchen und jungen Frauen betrifft, kann jede dritte menstruierende Person während ihrer Periode mehrere Tage im Monat nicht zur Schule gehen. Selbsterklärend, dass hierbei auch die Stigmatisierung der Periode eine große Rolle spielt. 

Wie wir sehen und vor allem feststellen, sind wir von gerechter und gesunder Menstruation noch weit entfernt. Es benötigt besseren Zugang zu sicheren, unbedenklichen, am besten wiederverwendbaren, Produkten sowie mehr Information und Aufklärung für menstruierende Personen. Wir brauchen finanzielle Entlastung – was möglich ist, wie Schottland zeigt. Denn hier sind seit Mitte letzten Jahres in allen städtischen Einrichtungen und Bildungsinstitutionen Periodenprodukte kostenlos und frei verfügbar. Um das alles zu erreichen, brauchen wir weiterhin einen offenen, und genauso progressiven Diskurs, der Stigmatisierung die Stirn bietet und menstruierende Menschen aus der Benachteiligung heraushebt. 

 

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