IP 4 Verhandlungen zu SAICM: Nächster Schritt zu einem neuen Instrument für mehr Chemikaliensicherheit

IP 4 Verhandlungen zu SAICM Beyond 2020 in Bukarest – wir von WECF waren dabei

12. September 2022

Wir von WECF haben uns Ende August gemeinsam mit Regierungen, Unternehmen und weiteren nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen in Bukarest, Rumänien, zur vierten Sitzung des Intersessionalen Prozesses (IP4) getroffen, um die Inhalte für ein Nachfolge Rahmenwerk von SAICM, dem strategischen Ansatz zum soliden Management von Chemikalien und Abfällen nach 2020, zu verhandeln. Mehr als 300 Delegierte nahmen teil, darunter Vertreter*innen von Regierungen, zwischenstaatlichen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und der Industrie.

Johanna Hausmann (mitte) mit Partner*innen
Johanna Hausmann (mitte) mit Partner*innen

Ziel des Meetings war es, Regelungen zur weltweiten Förderung der Chemikaliensicherheit auszuarbeiten, die Eingang finden in ein SAICM Beyond 2020, das auf der Weltchemikalien-Konferenz (ICCM-5), die im September 2023 in Bonn stattfinden wird, geprüft und angenommen werden soll. Ursprünglich sollte bereits 2020 ein Nachfolgeprozess verabschiedet werden, wegen der COVID-19-Pandemie kam es aber zu massiven zeitlichen Verschiebungen. Das Treffen in Burkarest war nach mehr als zweieinhalb Jahren das erste persönliche Treffen, um die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Uns war im Rahmen der Verhandlungen besonders wichtig, den Genderaspekt in der Textgrundlage zu verankern, was auch gelungen ist.

Dringend nötig: Chemikalien- und Abfallreformen

Hochgefährliche Pestizide, Schwermetalle, Chemikalien in Kunststoffen, Umwelthormone und andere giftige Stoffe überschwemmen Wasser, Boden und Luft. Einem aktuellen Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Umwelt, David Boyd, zufolge sterben jährlich neun Millionen Menschen vorzeitig an giftigen Chemikalien und Umweltverschmutzung. In diesem Jahr haben Wissenschaftler*innen außerdem festgestellt, dass der Grenze der Schadstoffbelastung auf der Erde überschritten ist, was eine ernsthafte Bedrohung für Mensch und Natur darstellt. Frauen sind aufgrund biologischer Faktoren und der Genderrollen besonders betroffen, weshalb wir dringend eine gendergerechte Chemikalienpolitik brauchen.

Da sich die weltweite Produktion und der Verkauf von Chemikalien bis 2030 voraussichtlich verdoppeln werden, decken die bestehenden multilateralen Umweltabkommen wie die Basel-, Rotterdam- oder Stockholm Konvention oder das Minamata-Übereinkommen nur einen kleinen Teil davon ab. Verschiedene Stakeholder bemühen sich daher mit den Verhandlungen zu einem SAICM Beyond 2020 um die Entwicklung eines wirksamen globalen Mechanismus für den sicheren Umgang mit Chemikalien und Abfällen, der die globalen Bemühungen um eine giftfreie Zukunft leiten soll.

IPEN Crew
IPEN Crew

Verhandlungen in drei Themengruppen

Die Verhandlungen in Bukarest fanden in drei Themengruppen statt.

Themengruppe 1: Vision, Umfang, Grundsätze und Ansätze, strategische Ziele, Vorgaben und Indikatoren

Themengruppe 2: Institutionelle Vereinbarungen, Verbindungen mit dem zukünftigen Wissenschafts-Politik-Gremium, wichtige Fragen und Mechanismen zur Unterstützung der Umsetzung

Themengruppe 3: Mechanismen zur Unterstützung des Kapazitätsaufbaus und finanzielle Überlegungen

Aus den Themengruppen resultierte ein “Co-Chairs Single Consolidated Text“, der auch Elemente zur Genderfrage beinhaltet.

Für uns wichtige Ergebnisse: Chemikalien und die Genderfrage im Ergebnisdokument

Gemeinsam mit anderen NGOs, die ebenfalls zu Chemikalien und der Genderfragen arbeiten (u.a. CIEL, Forum Umwelt und Entwicklung, HejSupport, IPEN, PAN und dem MSP-Institut), brachten wir die Genderfrage in das Ergebnisdokument ein.

Es ist uns gelungen, dass mehrere Textvorschläge zu Chemikalien und der Genderfrage in das Dokument aufgenommen wurden:

  • Hervorhebung des Ziels “Schutz der menschlichen Gesundheit, einschließlich der Gesundheit von (…) Frauen” in der Einleitung, um sicherzustellen, dass Gender-Aspekte gleich zu Beginn erwähnt werden.
  • Aufnahme mehrerer internationaler Abkommen über die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen in die Grundsätze und Ansätze des künftigen Rahmens (insbesondere mit Unterstützung Mexikos), so dass diese internationalen Abkommen neben anderen, die sich auf die nachhaltige Entwicklung, die Menschenrechte und andere Themen konzentrieren, erwähnt werden
  • Die Aufnahme eines Textvorschlags zur “Gewährleistung der Gleichstellung der Geschlechter, der Anerkennung von Frauen als Akteurinnen des Wandels und der Einbeziehung geschlechtsspezifischer Überlegungen in alle relevanten Aspekte [des neuen Instruments], unter anderem durch die Entwicklung und Umsetzung eines Aktionsplans zur Gleichstellung der Geschlechter”, um sicherzustellen, dass nach der Weltchemikalienkonferenz, ICCM-5, praktische Schritte in die Arbeit von SAICM Beyond 2020 und der SAICM-Akteur*innen aufgenommen werden.

Wie Ruth Spencer, Marine Ecosystems Protected Areas Trust, im Namen der Gruppe während der Abschlussplenarsitzung sagte, war es “gut, so viele Frauen als Akteure des Wandels [auf der Konferenz] zu sehen und zu hören, dass Gender in vielen Diskussionen erwähnt wurde. Dennoch sind Frauen und nicht-binäre Menschen in Entscheidungspositionen in verschiedenen Bereichen immer noch unterrepräsentiert. Die Anerkennung ihrer Fähigkeiten und ihres Wissens ist jedoch dringend erforderlich, um die nachhaltigen Entwicklungsziele für 2030 zu erreichen und sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird. Deshalb brauchen wir im neuen Rahmenwerk (…) Instrumente zur Gleichstellung der Geschlechter und zum Gender-Mainstreaming – andernfalls bleibt es veraltet und bleibt hinter allen Chemikalien- und Abfallkonventionen zurück. Das neue Rahmenwerk/Instrument könnte ein Vorreiter in Sachen Gleichstellung sein, indem es einen Gender-Aktionsplan entwickelt.”

Daher müssen die Textvorschläge zu Chemikalien und Gender diskutiert und Gender-Überlegungen in die Ziele und Indikatoren bei IP4.2 und anderen möglichen Aktivitäten zwischen jetzt und ICCM-5 integriert und bei ICCM-5 vereinbart werden.

Herausforderungen: Finanzierung von Chemikalienpolitik

Wie in vielen politischen Prozessen ist auch hier die Frage der Finanzierung des Chemikalienmanagements seit jeher umstritten und ein fester Bestandteil der damit verbundenen internationalen Verhandlungen. Die meisten Diskussionen finden im Allgemeinen zwischen “Geberländern” statt, die das Gefühl haben, bereits einen (zu großen) Beitrag zur Finanzierung zu leisten, und Empfängerländern – von denen viele im globalen Süden angesiedelt sind -, die argumentieren, dass die verfügbaren Mittel zur Bewältigung der Herausforderungen im Chemikalienmanagement weitgehend unzureichend sind. Bei der Frage der Finanzierung wird jedoch die Notwendigkeit außer Acht gelassen, zwei wichtige Punkte umzusetzen.

Erstens: das Verursacher*innenprinzip. Das besagt, dass diejenigen, die die Umweltverschmutzung verursachen, die Kosten für deren Bewältigung tragen sollten.

Zweitens: Die zweite Säule, nämlich, der integrierte Ansatz, zielt darauf ab, die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass die ständig wachsende chemische Industrie für die wachsende Bedrohung durch Chemikalien und Abfälle zur Verantwortung gezogen wird.

Mit beiden Säulen könnten die Finanzierungsmöglichkeiten eines sicheren Chemikalienmanagement erheblich gesteigert werden.

Und was kam noch heraus? Ein paar wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse von IP 4

Finanzierung von Chemikalien

Auf dieser IP4 diskutierten die Delegierten tatsächlich zum ersten Mal über praktische Möglichkeiten, um sicherzustellen, dass die chemische Industrie ihren gerechten Anteil an der Bewältigung der Gesundheits- und Umweltauswirkungen der von ihr hergestellten, verwendeten und vermarkteten Produkte leistet. Ausgelöst wurde die Diskussion durch den Vorschlag der Afrikanischen Gruppe, eine weltweit koordinierte Abgabe von 0,05 % auf den Verkauf von chemischen Grundstoffen zu erheben, um die Einnahmen für einen eigenständigen internationalen Fonds zur Unterstützung der Entwicklungsländer im Bereich Chemikalien- und Abfallmanagement bereitzustellen.

Auch wir von WECF unterstützten die Umsetzung des Verursacher*innenprinzips (Polluter Pays Principle). Die Basis könnte eine koordinierte Chemikaliensteuer oder -gebühr auf Grundchemikalien (mit einem Basissatz von 0,5 %) sein, wie sie auch unsere Kolleg*innen von CIEL fordern. Eine neue, angemessene, vorhersehbare und nachhaltige Finanzierung ist notwendig, um die ehrgeizigen Ziele und Verpflichtungen zu erreichen, die sich die Regierungen für ein Instrument zum Chemikalien- und Abfallmanagement nach 2020 setzen werden. Trotz erster Fortschritte bleibt noch viel Arbeit zu tun.

Sollte jedoch das Verursacherprinzips als Grundpfeiler für den Erfolg eines globalen Rahmenwerks anerkannt und ungesetzt werden, könnte dies einen Präzedenzfall für andere internationalen Instrumente schaffen, die derzeit verhandelt werden – einschließlich eines Vertrag zur Bewältigung der Plastikkrise. Die Verhandlungsführer*innen eines jeden Instruments sind immer mit der zentralen Frage konfrontiert, wie die Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung finanziert werden sollen.

Ausweitung der Themenbereiche

Eines der Merkmale der ICCM ist die Forderung nach angemessenen Maßnahmen bei neu aufkommenden politischen Fragen und die Entwicklung eines Konsenses zu neuen “Problemthemen“ (Issues of Concern, IoC). Die aktuelle Liste umfasst endokrin wirksame Chemikalien (EDCs), Nanomaterialien (Materialien mit einer Größe von weniger als 100 Nanometern), hochgefährliche Pestizide, Blei in Farben und mehr. Im Rahmen des IP4 haben die Parteien Fortschritte bei der Entwicklung von Kriterien für die Aufnahme in die Liste gemacht, anhand derer “neue” bedenkliche Stoffe bestimmt werden können. Dennoch gelang es ihnen nicht, die Arbeit an neu aufkommenden politischen Fragen und anderen besorgniserregenden Themen voranzutreiben, die eine größere Anzahl gefährlicher Chemikalien umfassen sollten und in das endgültige Rahmenwerk “Beyond 2022” aufgenommen werden müssen.

Schärfung des Fokus des Rahmenvertrags

Die Vertragsparteien haben erfolgreich Elemente ihrer Verhandlungen in einem einzigen, einheitlichen Dokument, einem konsolidierten Papier, zusammengefasst, das als Grundlage für die nächste Gesprächsrunde dienen soll und die Agenda der ICCM-5 schärfer fokussiert. Der daraus resultierende IP4-“Null-Entwurf” wird als Grundlage für die Verhandlungen auf der nächsten Tagung dienen und umfasst die Vision, den Geltungsbereich, die Grundsätze, die strategischen Ziele, die Zielvorgaben, die institutionellen Vereinbarungen, die Durchführungsmaßnahmen, die finanziellen Erwägungen und die Verfahren für die Benennung von “besorgniserregenden Themen”, die besondere Aufmerksamkeit und konzertierte Aktionen erfordern. 

Beteiligung der Zivilgesellschaft

IP4 markierte nach der Zwangspause aufgrund der Corona-Pandemie die Rückkehr zu persönlichen Verhandlungen nach zwei Jahren virtueller Treffen. Die Co-Moderator*innen hatten jedoch Mühe, auf den Ergebnissen der vorangegangenen zwei Jahre virtueller Treffen aufzubauen. Zahlreiche Delegationen wiesen darauf hin, dass der virtuelle Charakter der vorangegangenen Treffen viele Herausforderungen mit sich brachte – insbesondere für diejenigen, die Probleme mit der Internetverbindung und keinen Zugang zu angemessener Technologie hatten. Daher sei es schwierig, diese Ergebnisse in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren.

Diese Besorgnis wurde durch die von vielen geäußerte Forderung verstärkt, eine breitere Beteiligung von Interessengruppen aus den Entwicklungsländern und verschiedenen Sektoren sowie eine bessere Vertretung von Jugendlichen, Frauen und nicht-binären Menschen zu gewährleisten, um Transparenz und Eigenverantwortung für die künftigen Ergebnisse sicherzustellen.

Auf dem Weg zur Weltklimakonferenz, ICCM-5 im September 2023 in Bonn, müssen die Vertragsparteien bedenken, dass das neue globale Rahmenwerk für Chemikalien und Abfälle nur dann erfolgreich sein kann, wenn sich ein breites Spektrum von Interessengruppen verantwortlich fühlt. Dies kann nur durch offene, integrative, transparente und partizipative Treffen erreicht werden.

Und wie geht es weiter? Ein Blick in die Zukunft

Nach fünf intensiven Tagen offener und konstruktiver Verhandlungen kamen die Vertragsparteien überein, IP4 auszusetzen und Anfang 2023 in Nairobi, Kenia, oder Genf, Schweiz, erneut zusammenzutreten. Die genaue Tagesordnung und Struktur des Treffens müssen noch festgelegt werden.

Bei diesem Treffen sollten sich die politischen Entscheidungsträger*innen nicht nur auf die strategischen Ziele und Vorgaben beschränken. Sie müssen auch an Indikatoren zur Unterstützung dieser Ziele arbeiten. Außerdem ist es wichtig, dass sie die wichtigen Grundsätze der Vorbeugung und Vorsorge aufrechterhalten und gleichzeitig einen menschenrechtsorientierten Ansatz für eine vernünftigen und sicheren Umgang mit Chemikalien und Abfällen hervorheben. Letzteres ist besonders wichtig, nachdem die UN-Generalversammlung das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als ein Menschenrecht anerkannt hat.

Die Delegierten der wiederaufgenommenen Sitzung müssen ihre Ziele hochhalten und weiter auf einen Text hinarbeiten, der einen globalen Plan zur Bewältigung der weltweiten Chemikalien- und Abfallkrise und zur Gewährleistung einer giftfreien Zukunft für gesunde Menschen und die Umwelt enthält.

 

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