Ergebnisse der zweiten Verhandlungsrunde für ein globales Plastikabkommen

Wir als Zivilgesellschaft werden den Prozess mit wachen Augen begleiten

München/ Paris, 3. Juni 2023

Am 2. Juni endete die zweite Verhandlungsrunde des zwischenstaatlichen Verhandlungskomitees (INC-2) für ein globales Plastikabkommen zur Verringerung der Plastikverschmutzung, die in Paris am Sitz der UNESCO stattfand. Wir von WECF haben die Verhandlungen begleitet und schließen uns dem Appell der Zivilgesellschaft an, nicht zuzulassen, dass der Einsatz von Verzögerungstaktiken und lange Diskussionen um Verfahrensfragen den Fortschritt der Verhandlungen bremst und den Anspruch des potenziellen Abkommens schmälert.

INC2-Plenum am 2. Juni | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth
INC2-Plenum am 2. Juni | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth

Die Verhandlungstage begannen mit einigen Hindernissen. Zum einen war der Zugang der Zivilgesellschaft aufgrund von Platzkapazitäten im UNESCO Gebäude limitiert und somit die Partizipationsmöglichkeiten der NGOs sehr eingeschränkt.

Besonders problematisch war darüber hinaus, dass einige Länder durch eine scheinbar harmlose Debatte über Verfahrensregeln den Prozess und die inhaltliche Arbeit an dem Abkommen um zwei Tage verzögerten. Ziel dieser Debatten, die von Staaten mit starken Interessen in der Öl- und petrochemischen Industrie wie Saudi-Arabien, China u.a. geführt wurden, war es, sich für einen „Konsens“ in der Geschäftsordnung zu einigen und dadurch ehrgeizige Bestimmungen im Abkommen, während der Folgearbeiten zu blockieren. Ein schwach gestaltetes Abkommen würde ermöglichen, dass die Produktion von fossilem Plastik ungebremst weitergehen kann.

Delegierte aus Saudi Arabien | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth
Delegierte aus Saudi Arabien | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth

Gemäß dem Mandat, das auf der fünften Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA 5.2) im Jahr 2022 angenommen wurde, haben die Länder bis Ende nächsten Jahres (2024) Zeit, um die Bedingungen für das rechtsverbindliche Abkommen auszuarbeiten. Auch wenn die Hälfte der INC-2-Sitzung in mäandernden, scheinbar endlosen Debatten über die Geschäftsordnung versunken war, konnten in einigen Punkten erste Fortschritte erzielt werden.

Die wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen
  • Der INC-Präsident erhielt das Mandat, einen „Zero-draft“ auszuarbeiten. Dieser basiert auf Grundlage der von den Mitgliedstaaten und Beobachter*innen (dazu zählt auch die Zivilgesellschaft) bei INC-1 und INC-2 geäußerten Ansichten.
  • Beobachter*innen können bis zum 15. August 2023 und Regierungen bis zum 15. September 2023 ihre Ansichten zu den Grundsätzen und dem Anwendungsbereich des Vertrags einbringen.
  • Das INC wird ein Vortreffen abhalten, um die Grundsätze und den Geltungsbereich auf der Grundlage der Beiträge von Regierungen und Beobachter*innen zu diskutieren.
  • Die regionalen Treffen werden parallel zu den regionalen Treffen zur Vorbereitung der fünften Konferenz der Vertragsparteien des Minamata-Übereinkommens über Quecksilber stattfinden.

Positive Outcomes

Positiv war, dass einige Länder wie Ruanda, Ecuador, Mexiko, die Europäische Union und andere, geschlossen globale Maßnahmen forderten:

  • globale Ziele für die Reduzierung der Kunststoffproduktion,
  • die Offenlegungspflichten ähnlich dem Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums,
  • die Anwendung des Vorsorgeprinzips beim Umgang mit Mikroplastik,
  • die Anerkennung der Notwendigkeit des Menschenrechts auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt
  • und die Priorisierung eines gerechten Übergangs zu sichereren und nachhaltigeren Lebensbedingungen für die Beschäftigten in der gesamten Kunststofflieferkette.
Gender – ein Thema, das von von Beginn an berücksichtigt werden muss

 

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Wir von WECF haben uns als einen Schwerpunkt der Vertragsverhandlungen zum Ziel gesetzt, dass Gendergerechtigkeit in der Teilhabe und Genderaspekte hinsichtlich der genderspezifischen Belastungen durch Chemikalien mit in das Vertragswerk aufgenommen werden. Dieses Ziel haben wir gemeinsam mit der Women Major Group (WMG) in Statements für die Eröffnung als auch für den Abschluss des Plenums formuliert und die Notwendigkeit der Integration der Gender Perspektive in das Übereinkommen betont. Dabei muss die Integration in den Zielen, Kernverpflichtungen, Kontrollmaßnahmen und freiwillige Ansätze, sowie den Mitteln zur Umsetzung und Durchführungsmaßnahmen aufgenommen werden, um die ungerechten Auswirkungen der Plastikverschmutzung auf besonders vulnerabel Gruppen in der ganzen Welt anzugehen.

Kritische Outcomes

Es gab aber auch viele besorgniserregende Ergebnisse. Viele Länder forderten immer noch uneinheitliche nationale Aktionspläne, wenn es um die Erfüllung zahlreicher grundlegender Verpflichtungen wie Reduktions- und Wiederverwendungsziele und Kriterien für Alternativen ging. Einige Länder förderten nach wie vor das chemische Recycling, und viele Länder konzentrierten sich nach wie vor hauptsächlich auf das Recycling und das Management der nachgelagerten Kunststoffverschmutzung.

Im Vorfeld der Verhandlungen in Paris erhielten registrierte und akkreditierte nichtstaatliche Teilnehmer*innen widersprüchliche Informationen darüber, ob sie in die Verhandlungsräume oder sogar in den Tagungsort, an dem die Diskussionen stattfanden, eingelassen wurden. Nach einer friedlichen Solidaritätsaktion außerhalb des UNESCO-Geländes und Aufrufen von Regierungen zu einer breiteren Beteiligung wurde registrierten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, Wissenschaftler*innen, Repräsentant*innen indigener Völkern, Anwält*innen des Globalen Südens und anderen Rechtsinhaber*innen schließlich ein Zugang zu den Verhandlungen gewährt. Die Industrie ist jedoch weiterhin bei den Verhandlungen präsent, auch bei Nebenveranstaltungen, bei denen sie für falsche Lösungen wie den “Plastikausgleich” wirbt, ein System, das weder die Plastikproduktion noch die Verschmutzung “ausgleicht”. Ein großer Teil des für den “Ausgleich” gesammelten Plastiks wird verbrannt, was Gemeinden und der Umwelt schadet.

Protestkundgebung der Zivilgesellschaft vor dem UNESCO Gebäude | Foto: GAIA
Protestkundgebung der Zivilgesellschaft vor dem UNESCO Gebäude | Foto: GAIA

Weiteres Diskussionspotential zur Geschäftsordnung

Die Länder einigten sich in Paris auf eine Auslegungserklärung zu Regel 38.1 (die Annahme von Beschlüssen mit Zweidrittelmehrheit als letztes Mittel, wenn alle Bemühungen um einen Konsens ausgeschöpft sind). Wahrscheinlich ist jedoch, dass der “vorläufige” Entwurf der Geschäftsordnung bei INC-3 erneut zur Sprache kommen könnte. Zu den noch offenen Fragen gehört ebenso, ob jeder EU-Mitgliedstaat eine Stimme haben wird oder ob die EU bei Abstimmungen als ein Block behandelt wird und ob Entscheidungen nur im Konsens getroffen werden sollten. Letzteres scheint vielen Beobachter*innen als taktische Maßnahme, um strenge Regelungen zu schwächen, die zur Reduzierung der Kunststoffproduktion ergriffen werden könnten.

Schädliche Chemikalien in Kunststoff – Vermeidung und Transparenz

Kunststoff enthält mehr als 10.000 verschiedene Chemikalien, von denen mehr als ein Viertel als giftige Chemikalien bekannt sind, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt gefährden. Der Mangel an Informationen über diese Stoffe in Kunststoffmaterialien, -produkten und -abfällen hindert Verbraucher*innen und Recycler*innne daran, informierte Entscheidungen treffen zu können. Infolgedessen wird beim Kunststoffrecycling, das von vielen Ländern auch in Paris immer noch als eine Lösung des Plastikproblems gesehen wird,  kontaminiertes Kunststoffgranulat als Ausgangsmaterial für neue Produkte produziert. Anstelle einer sauberen Kreislaufwirtschaft trägt das Kunststoffrecycling somit zur Verunreinigung neuer Produkte mit gefährlichen Stoffen, zu Umweltemissionen und zum Risiko verschiedener Krankheiten in der Bevölkerung und bei den Beschäftigten in der Recycling- und Fertigungsindustrie bei, die durch die Exposition gegenüber diesen Stoffen verursacht werden.

Nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen sollte der Kunststoffvertrag auf dem Prinzip einer rechtsverbindlichen Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen über den Gehalt an toxischen Stoffen in Kunststoffen beruhen. Der Ansatz für die Bereitstellung solcher Informationen sollte rechtsverbindlich und weltweit harmonisiert sein, so dass alle Länder die Informationen erhalten können, unabhängig davon, wie fortschrittlich ihre nationalen Gesetze sind oder wie gut sie technisch darauf vorbereitet sind, toxische Stoffe in Kunststoffen zu identifizieren.

Darüber hinaus sollten die Informationen über chemische Inhaltsstoffe in Kunststoffen in den einzelnen Produkten nachverfolgbar sein. Die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit sollten ebenfalls rechtsverbindlich und weltweit harmonisiert sein, um eine fundierte Entscheidungsfindung bei der Herstellung, der Verwendung und dem Recycling von Kunststoffen zu gewährleisten.

Die meisten Länder im globalen Süden importieren Kunststoffe und stellen keine Kunststoffe und Produkte im eigenen Land her. Die Einholung von Informationen über den Gehalt an toxischen Stoffen in solchen Waren auf der Grundlage rechtsverbindlicher internationaler Anforderungen würde die Grenzkontrollen erheblich erleichtern und die Einfuhr von Waren mit toxischen Stoffen in die Märkte der Länder verringern.

Was geschah in den Kontaktgruppen?

Während der INC-2 wurden zwei Kontaktgruppen eingerichtet. Die Kontaktgruppe 1 (CG1) erörterte die rechtsverbindlichen Elemente des künftigen Vertrags. Kontaktgruppe 2 (CG2) erörterte Umsetzungsmaßnahmen.

Wichtige Basis der Arbeit in den Kontaktgruppen, war das Option Papier, das das INC-Sekretariat vor Verhandlungsbeginn vorgelegt hatte.

Plenum der Kontaktgruppe2 | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth
Plenum der Kontaktgruppe2 | Bild: IISD/ENB, Kiara Worth
KONTAKTGRUPPE 1

Die Kontaktgruppe 1 (CG 1) begann mit einer Diskussion über das Ziel des künftigen Vertrags.

  • Die Mehrheit sprach sich für die Option A aus dem Optionspapiers aus: Beendigung der Kunststoffverschmutzung; Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen von Kunststoffen während ihres gesamten Lebenszyklus.
  • Die UN Women’s Major Group, die auch von WECF vertreten wurde, betonte in ihrem Beitrag, dass das Ziel des zukünftigen Vertrags die folgenden Ergänzungen enthalten sollte: Unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips die Verschmutzung durch Plastik, einschließlich chemischer Bestandteile, zu beenden; die menschliche Gesundheit und die Umwelt während des gesamten Lebenszyklus von Plastik vor seinen schädlichen Auswirkungen zu schützen; und Menschenrechte, Gerechtigkeit, Fairness und Gleichheit zu gewährleisten.
  • Die Teilnehmer*innen der CG1 unterstützten die Bedeutung des Chemikalienmanagements bei Kunststoffen (s.o.). Viele sprachen sich für eine globale Herangehensweise an das Problem aus, anstatt sich auf nationale Gesetze zu stützen. Darüber hinaus befürworteten viele Länder Transparenzmaßnahmen zur Rückverfolgung von Chemikalien in Kunststoffen.

Bericht der Kontaktgruppe1 zum nachlesen >>

KONTAKTGRUPPE 2

Die Kontaktgruppe 2 (CG2) erörterte Fragen im Zusammenhang mit nationalen Aktionsplänen (NAPs), der Beteiligung von Interessengruppen, dem Informationsaustausch und der technischen Unterstützung.

  • Es herrschte Einigkeit darüber, dass harmonisierte Vorlagen und Anleitungen für nationale Aktionspläne wichtig sind, möglicherweise mit einer Mindestanzahl von Elementen. Einige Länder betonten jedoch, dass solche Anleitungen nicht rechtsverbindlich sein sollten. Einige wiesen darauf hin, wie wichtig es sei, die nationalen Aktionspläne zu harmonisieren und ihnen unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten genauere Vorgaben zu Zielen, Indikatoren und Zeitplänen zu machen, um die Transparenz und Vergleichbarkeit zwischen den Parteien zu fördern.
  • Es gab eine breite Unterstützung für eine Multi-Stakeholder-Agenda, um eine aktive und sinnvolle Beteiligung an der Entwicklung und Umsetzung des Instruments zu fördern und Maßnahmen zu beschleunigen.
  • Die Anerkennung der Rolle indigener Völker und lokaler Gemeinschaften sowie des informellen Sektors bei einem gerechten Übergang wurde als besonders wichtig erachtet.

Bericht der Kontaktgruppe2 zum nachlesen >>

Die Verhandlungen gehen weiter

Die globale Plastikkrise wird weiterhin durch die ständig steigende Plastikproduktion angetrieben und kann, wenn sie nicht eingedämmt wird, die großen planetarischen Bedrohungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, nur eskalieren und verschlimmern, einschließlich des Klimanotstands, des ernsthaften Verlusts der biologischen Vielfalt, der beispiellosen Toxizität und der Verschmutzung durch Mikroplastik, die alle tiefgreifende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Menschenrechte haben.

Die Positionen der Länder innerhalb der Kontaktgruppen resultieren aus der enormen Arbeit, die von Nichtregierungsorganisationen geleistet wurde. WECF betont seit Beginn der Arbeit zu Plastik, dass Plastikverschmutzung nicht nur sichtbare Müllberge und Unterwasser-Plastikstrudel sind. Plastikverschmutzung führt zu einer chemischen Verseuchung von Menschen, Wildtieren und der Umwelt und gefährdet die Gesundheit von Mensch und Umwelt.

Die Verhandlungen gehen weiter. Im Hinblick auf künftige INC-Tagungsorte einigten sich die Länderdelegierten darauf, die INC-3 im November 2023 in Nairobi (Kenia), die INC-4 im April 2024 in Ottawa (Kanada) und die INC-5 im Oktober oder November 2024 in der Republik Korea abzuhalten.

 

Weitere Links

WECF ist Mitglied von Exit-Plastik und Break free from Plastic (bffp) | Bild im Header: IISD/ENB, Kiara Worth