Energiearmut in Europa und Deutschland – Deutsche Kurzfassung unseres Berichts “Energy Poverty in Europe and Germany. A Gender Sensitive Report.” 

von Isabelle Sundermann

Isabelle Sundermann

Schätzungsweise 50 Millionen Haushalte in Europa sind von Energiearmut betroffen. In Deutschland liegt die Gefahr, in Energiearmut abzurutschen, für eine Einzelperson zwar unter dem europäischen Durchschnitt, gleichwohl steigt die Anzahl der Betroffenen in der Bundesrepublik seit Jahren kontinuierlich. Die Corona-Pandemie sorgt für zusätzliche wirtschaftliche und finanzielle Bürden und treibt die Ausweitung von sozialen Ungerechtigkeiten voran – eine weitere Belastung für bereits von Energiearmut Betroffene oder an der Energiearmutsgrenze stehenden Menschen.  

Was ist Energiearmut? 

Obwohl der Zugang zu sicherer, nachhaltiger und bezahlbarer Energie in unterschiedlichen internationalen, europäischen und nationalen Abkommen als Ziel vereinbart wurde, wie etwa dem European Green Deal oder der Agenda 2030, fehlt bislang auf internationaler bzw. europäischer Ebene eine klare, vereinheitlichte Definition von Energiearmut. Viele EU-Mitgliedstaaten haben den Begriff der Energiearmut überhaupt noch gar nicht offiziell definiert, so etwa die Bundesrepublik Deutschland. Aus der Schnittmenge bestehender Definitionen lässt sich jedoch ableiten, dass der Begriff der Energiearmut das Unvermögen einer Person beschreibt, sich den Zugang zu essenziellen Energiedienstleistungen und -gütern zu leisten. 

Der Begriff der Energiearmut beschreibt das Unvermögen einer Person, sich den Zugang zu essenziellen Energiedienstleistungen und -gütern zu leisten. 

Die Gründe für Energiearmut sind vielschichtig, daher spielen diverse Faktoren wirtschaftlicher, gesetzlicher und sozialer Natur für die Entstehung von Energiearmut eine Rolle. Auch die Auswirkungen von Energiearmut haben ein breites Spektrum: Energiearmut wirkt sich sowohl physisch als auch psychisch auf die Betroffenen aus. Betroffene, die unter Energiearmut leiden, sind häufig nicht in der Lage, ihre Wohnräume im Winter ausreichend zu beheizen. Beispielsweise gaben 15,4% der Personen in Deutschland, die zur niedrigsten Einkommensklasse gehören, an, ihre Räumlichkeiten nicht ausreichend heizen zu können. Die kalten Temperaturen in den Wohnräumen beeinflussen die Gesundheit der Betroffenen negativ. Häufige Folgen sind etwa Erkältungen und grippale Infektionen. Im schlimmsten Falle wirken sich die Temperaturen aber auch lebensgefährdend aus. Andersherum ist Energiearmut in den Sommermonaten Grund dafür, dass die häuslichen Räumlichkeiten nicht heruntergekühlt werden können. Gerade für ältere Personen ist die Hitzebelastung gesundheitsgefährdend oder sogar lebensbedrohlich. 

Darüber hinaus beeinflussen chronisches thermisches Unbehagen, die Angst sich zu verschulden, soziale Stigmata und die Angst vor sozialer Ausgrenzung die psychische Gesundheit der Betroffenen, angefangen bei Stress oder Angst bis hin zu Depressionen.  

Gibt es eine Genderdimension von Energiearmut? 

In vielerlei Hinsicht manifestieren sich entscheidende Zusammenhänge von Geschlecht und Energiearmut: Beispielsweise reagieren Frauen* grundsätzlich unmittelbarer auf Kälte bzw. Wärme. Mit zunehmendem Alter nimmt diese Sensitivität zu, weswegen das Sterberisiko bei Frauen* im Winter höher als bei Männern* ist. In wirtschaftlicher Hinsicht sind insbesondere in Deutschland u.a. die Gender Pay Gap, die Gender Care Gap und die Gender Pension Gap Grund für ein generell geringeres Lebenseinkommen von Frauen*, welches sich sodann in einem höheren Armutsrisiko niederschlägt. Aufgrund der deutlich höheren unbezahlten Sorgearbeit verbringen Frauen* zugleich mehr Zeit zuhause und haben dadurch einen höheren Energiebedarf. Je nach Art und Weise der Zusammensetzung des Haushalts, ist das Risiko von Energiearmut daher höher. 

Aufgrund der deutlich höheren unbezahlten Sorgearbeit verbringen Frauen* zugleich mehr Zeit zuhause und haben dadurch einen höheren Energiebedarf.

Auch das hinzutreten weiterer Aspekte und Eigenschaften, wie etwa Behinderungen oder ein Migrationshintergrund, kann das Risiko der Energiearmut zusätzlich steigern. 

Was wird bereits gegen Energiearmut getan? 

Auf europäischer Ebene bestehen bereits verschiedene Instrumente zur direkten bzw. indirekten Bekämpfung von Energiearmut, wie z.B.:  

  • Das Dritte Energiepaket der EU, welches die Mitgliedstaaten dazu erstmals verpflichtete, Strategien zur Bekämpfung der Energiearmut zu entwickeln; 
  • Dem Clean Energy for All Package, welches zu einem besseren Monitoring und Datenerhebung von Energiearmut in Europa beiträgt; 
  • Die Nationalen Energie- und Klimapläne der Mitgliedstaaten der EU; 
  • Das Innovations- und Forschungsprogramm Horizon 2020 und Horizon Europe; 
  • Und der Europäische Green Deal, mit dem Ziel der Klimaneutralität und einer sozialgerechten Energiewende, die niemanden zurücklässt, bis 2050. 

In Deutschland wird Energiearmut bislang gemeinsam mit anderen Formen der Armut mit finanziellen Mitteln nach Maßgabe des deutschen Sozialversicherungs- und Mindestversicherungssystem bekämpft. In der Praxis reichen diese staatlichen Gelder aber oftmals nicht aus, alle grundlegenden Güter und Bedürfnisse abzudecken, sodass vielen Empfänger*innen nicht genug Geld für ihre Energiebedürfnisse bleibt. Dies liegt maßgeblich an den stetig steigenden Energiekosten in Deutschland, ausgelöst durch die Energieumlage, sowie die an den Lebensumständen der Empfänger*innen unzureichend angepasste Festlegung der auszuzahlenden Sozialleistungen. Zu dieser defizitären Zugrundelegung der tatsächlichen Lebenskosten durch den Staat gehört auch das Fehlen einer Genderperspektive. 

Darüber hinaus hat sich Deutschland mit der Agenda 2030 und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen zur Gewährleistung einer sozialgerechten, insbesondere auch gendergerechten, Energiewende und dessen Zugangsgewährung für alle verpflichtet. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Ziel 7 (saubere Energie für alle), 1 (Armutsbekämpfung), 5 (Gleichstellung der Geschlechter) und 10 (weniger Ungleichheiten). Die Anfang 2021 veröffentlichte Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands zur Umsetzung der Ziele der 2030 Agenda, und der daran inhaltlich stark angelehnte freiwillige Staatenbericht für das Hochrangige Politische Forum für nachhaltige Entwicklung 2021, versäumen es, ein qualitativ und quantitativ angemessenes Monitoring des Problems der Energiearmut, insbesondere auch aus einer Genderperspektive, anhand von Indikatoren zu etablieren. Auch fehlt es an einer Formulierung von etwaigen anderen geeigneten politischen oder legislativen Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiearmut und dessen Genderdimension in Deutschland.  

Es fehlt eine Formulierung von geeigneten politischen oder legislativen Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut und dessen Genderdimension in Deutschland.

Was ist noch zu tun? 

Momentan werden die bestehenden internationalen Instrumente und Verpflichtungen nicht ausreichend von Deutschland genutzt und umgesetzt. Um das Ziel einer sozialgerechten Energiewende zu erreichen und dem Anspruch des Europäischen Green Deal, niemanden dabei auf dem Weg zurückzulassen, gerecht zu werden, muss eine Genderperspektive in die bestehenden Mechanismen zur Bekämpfung der Energiearmut eingebaut werden, eine qualitativ und quantitativ besser abgestimmte Datenerhebung erfolgen sowie das Sozialversicherungs-, Mindestversicherungssystem und die Energiekosten an Armuts- und soziale Umstände problemorientierter angepasst werden. Innerhalb all dieser Prozesse sollte die Förderung von Demokratie und Gleichheit sowie die aktive Einbindung von Bürger*innen in die Dezentralisierung der Energieversorgung die oberste Maxime sein. 

 

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