Die Gefahren von PFAS anerkennen – Offener Brief an alle Mitglieder des deutschen Bundestags

Jetzt handeln und einen sicheren Rechtsrahmen für alle Akteur*innen schaffen

Berlin, 18. April 2024

Sehr geehrte*r Abgeordnete,

Wir – eine Gruppe von neun zivilgesellschaftlichen Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Gesundheits- und Entwicklungspolitik, sowie Verbraucher*innenschutz und Teil eines breiten Bündnisses zum Verbot vor PFAS – schreiben Ihnen im Kontext der kommenden Anhörung zur Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) am 24. April. Wir wollen unsere Unterstützung für das Beschränkungsverfahren der PFAS auf EU-Ebene ausdrücken, den wir für den Schutz von Mensch und Umwelt für unabdingbar halten. Uns besorgt, dass dieser ambitionierte und notwendige Vorschlag von verschiedenen Seiten auch hier in Deutschland diskreditiert wird. Der zur Anhörung gehörende Antrag der CDU/CSU-Fraktion erkennt in unseren Augen die Gefahren, die von PFAS für Mensch und Umwelt ausgehen, nicht zur Genüge an und verkennt die Differenziertheit des bei der ECHA liegenden Beschränkungsvorschlags. Wir bitten Sie daher, sich gegen den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auszusprechen.

Da PFAS ganz offensichtlich ein Problem darstellen, gibt es bereits einen Flickenteppich aus Regelungen für einzelne Untergruppen der PFAS (z.B. PFCAs und PFHxAs) sowie Pläne für produktbezogene  Verbote (z.B. für Lebensmittelverpackungen im Kontext der Verpackungsverordnung oder in Spielzeugen) sowie nationale Reglungen (z.B. PFAS-Verbot in Lebensmittelverpackungen in Dänemark sowie – kürzlich beschlossen – Verbot von einigen PFAS-haltigen Produkten in Frankreich). Nicht nur im Sinne des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sondern auch der Konsistenz europäischer Regulierung wegen muss das Thema PFAS in Gänze angegangen werden. Der PFAS-Beschränkungsvorschlag ist in unseren Augen daher ein essentieller Schritt.

Die Stoffgruppe der PFAS ist aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften besonders stabil, fett-, wasser- und schmutzabweisend. PFAS werden sowohl in einer Vielzahl von technischen und industriellen Produkten angewendet als auch in verschiedenen Alltagsprodukten wie Lebensmittelverpackungen, (Outdoor)Kleidung, Elektronikgeräten oder auch Beschichtungen von Möbeln und Sportgeräten. Besonders bedenklich sind die umweltoffenen Anwendungen, bei denen keinerlei Emissionsbegrenzung möglich ist, d.h. die gesamte Anwendungsmenge in der Umwelt verbleibt.

PFAS sind mittlerweile überall auf der Welt nachweisbar – auch in entlegenen Gebieten wie der Arktis oder dem Himalaja. In Deutschland hat das Forever Pollution Projekt über 1.500 PFAS belastete Orte aufgedeckt. Kürzlich wurden u. a. in Brüssel und Schweden PFAS-Konzentrationen im Trinkwasser gemessen, die die gesetzlichen Grenzwerte überschreiten. Mancherorts überschreitet der PFAS-Gehalt im Regenwasser bereits die gesetzlichen Grenzwerte für Trinkwasser.

PFAS – und das zeichnet diese Stoffgruppe besonders aus – bauen sich unter natürlichen Bedingungen nicht ab und sind dadurch extrem persistent. Damit setzen diese Substanzen die Fähigkeit von Ökosystemen, sich selbst von Verschmutzungen zu reinigen, außer Kraft. PFAS tragen maßgeblich dazu bei, dass die Planetaren Grenzen für chemische Stoffe  bereits überschritten sind. PFAS reichern sich kontinuierlich an und belasten jetzige und zukünftige Generationen. Bereits jetzt liegen bei einem Fünftel der Kinder und Jugendlichen die Konzentrationen mancher PFAS im Blut auf einem Level, bei denen gesundheitliche Folgen nicht mehr ausgeschlossen werden können. Epidemiologische und Tierversuchsstudien weisen darauf hin, dass bestimmte PFAS Niere und Leber, das Hormon- und Immunsystem schädigen und den Fettstoffwechsel stören, die Wirkung von Impfungen verschlechtern, ein geringeres Geburtsgewicht zur Folge haben, die Fruchtbarkeit verringern oder Krebs erzeugen können.

Das Beschränkungsdossier von Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen zeugt von hoher Sachkenntnis, unter anderem sind umfangreiche Informationen über Anwendungsfelder und Ersatzmöglichkeiten beschrieben. Es handelt sich nicht um ein sofortiges Totalverbot, sondern um einen Beschränkungsvorschlag mit Augenmaß, denn er sieht Ausnahmeregelungen und sehr lange Übergangsfristen für unverzichtbare Anwendungen vor, für die aktuell keine sicheren Alternativen verfügbar sind. Leider sind PFAS-Wirkstoffe für Pestizide, Biozide und Arzneimittel aus dem geplanten Geltungsbereich der Beschränkung ausgenommen. Diese Regelungslücke muss so bald wie möglich geschlossen werden.

Eine Regulierung der gesamten Stoffgruppe würde die Innovationstätigkeit der chemischen Industrie fördern und auf Dauer zu einem Wettbewerbsvorteil im globalen Handel führen. Der globale Trend zu mehr Nachhaltigkeit lässt sich nicht aufhalten. Klare Regeln und zeitliche Perspektiven schaffen Planungssicherheit und können Investitionen in neue Technologien und den Aufbau einer neuen Industrie fördern. Alternativen zu PFAS bestehen bereits an vielen Stellen. Insbesondere gasförmige PFAS, die meist als Kältemittel verwendet werden und mengen- und emissionsmäßig den größten PFAS-Anteil darstellen, können fast vollständig durch vorteilhafte natürliche Alternativen ersetzt werden. Als weitere Beispiele seien das Unternehmen VAUDE genannt, das keine PFAS in Textilien mehr verwendet. Das Wissen über die Schädlichkeit und Persistenz der Stoffgruppe sowie die voraussehbare Regulierung motiviert viele Unternehmen, Alternativen zu PFAS zu nutzen oder zu entwickeln.

Da PFAS weltweit ein Problem darstellen und im internationalen Chemikalienmanagement ein Schwerpunktthema sind, ist damit zu rechnen, dass andere Staaten entsprechende Beschränkungen prüfen und umsetzen. Die EU und Deutschland können mit der Unterstützung des PFAS-Beschränkungsdossiers eine Vorreiterrolle in Bezug auf die Förderung einer nachhaltigen Chemie einnehmen – nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.

Der Stoffgruppe der PFAS werden über 10.000 Verbindungen zugerechnet, deren Beschränkung als Einzelstoffe die ohnehin schon überforderten Kontrollbehörden vor eine unlösbare Aufgabe stellen würde. Die schiere Menge der Verbindungen, gepaart mit der Persistenz, macht es nötig, diese Stoffgruppe strikt nach dem Vorsorgeprinzip zu regulieren, um weitere unerwünschte Substitution zukünftig zu verhindern.

Sehr gern möchten wir uns dazu intensiver mit Ihnen austauschen und, wenn gewünscht, weitere Argumentationshilfen und Referenzen anbieten.

Mit freundlichen Grüßen Tom Kurz, im Namen der unterzeichnenden Organisationen