Bundestagswahl 2021: Es fehlen die Stimmen der Straße

Ein Apell für mehr Generationengerechtigkeit 

Letztes Wochenende hieß der Sonntagskrimi: Bundestagswahl. Bis zuletzt blieb es spannend. Bleibt die SPD vorne? Schafft es die LINKE in den Bundestag? Gleichzeitig wurde von Moderator*innen und Kommentator*innen im ARD und ZDF wild mit möglichen Farbmustern für die neue Regierung gespielt. Doch egal welche Kombi es werden wird – Vergleichen wir die Zahlen der Endergebnisse mit der Analyse unserer Ecofeminist Scorecard, müssen wir feststellen: Es steht schlecht um Klimagerechtigkeit in der neuen Regierung. Und nicht nur das. 

Unserer Analyse der Wahlprogramme zufolge haben die Grünen und die LINKE als einzige der größeren Parteien die Aspekte Klimagerechtigkeit, geschlechtergerechte Energiewende und Systemwandel zufriedenstellend in ihr Programm aufgenommen. Doch für beide Parteien endete der Wahlsonntag enttäuschend. Die Grünen haben zwar mit knapp 15 Prozent die zweistellige Prozentzahl locker geknackt, doch längst nicht das gewünschte Ziel von über 20 Prozent erreicht. Und ob sie es mit diesem Ergebnis in die Regierung schaffen, bleibt offen. Die LINKE ist sogar mit 4.9 Prozent fast am Bundestag vorbeigeschrammt und schafft es nur durch Direktmandate ins Parlament. Womöglich werden es harte vier Jahre für sozial schwache Menschen in Deutschland. 

Eine Demokratie muss mit Widersprüchen umgehen können. Doch was uns Sorgen bereitet ist die große Diskrepanz zwischen der Zivilgesellschaft in Deutschland und der im Bundestag repräsentierten Parteien. Noch am Freitag vor der Wahl gehen mehr als eine halbe Millionen Menschen an fast 500 verschiedenen Orten in Deutschland auf die Straße, um für das Abwenden der Klimakrise laut zu werden. Gleichzeitig liegen die beiden großen Parteien in den Wahlergebnissen vorne, die in unserer ökofeministischen Wahlanalyse unterirdisch schlecht abgeschnitten haben. Da stellt sich doch die Frage: Wer hat hier nicht zugehört? Laut Statistik: Die Generation 25 Plus. 

Würde es nach den Jungwähler*innen unter 25 gehen, würde Grün regieren. Menschen unter 25 Jahren machen aber nur ca. 10% der Wähler*innen aus. Heißt: Fast 90% der deutschen Wähler*innen haben für die unter 25-Jährigen entschieden. Und zwar anders entschieden. Und die Stimmen all der unter 18-Jährigen, die den Ton der Klimaproteste maßgeblich angeben, werden hier überhaupt nicht berücksichtigt. Ebenso ergeht es einer jungen migrantischen Generation, die hier studiert, lebt und Gesellschaft mitgestaltet – aber die kein Wahlrecht in Deutschland hat. Wie finden diese Stimmen in die Regierung?  

Dieses Phänomen hat ein Wort: Generationenungerechtigkeit. Erinnern wir uns, wie das Bundesverfassungsgericht im April 2021 bezüglich des Klimaschutzgesetzes geurteilt hat. Hier wurden Handlungen, die sich negativ auf die Freiheitsrechte kommender Generationen auswirken, als verfassungswidrig erklärt. Stellt sich demzufolge nicht sogar die schmerzliche Frage, inwiefern die Generation 25 Plus in dieser Wahl überhaupt mitentscheiden kann? Autsch. 

Gleichzeitig ist nirgendwo die Widersprüchlichkeit dieser Wahl so schön zu sehen, wie in dem Wahlergebnis der Jungwähler*innen. Die Grünen landen zwar auf Platz eins – ausgerechnet die FDP ist ihnen aber hart auf den Versen. Bei den Erstwähler*innen geht die FDP sogar als glatte Siegerin hervor. Die Jungwähler*innen schenken also ausgerechnet den beiden Parteien ihr Vertrauen, die in ihren Programminhalten kaum unterschiedlicher sein könnten. Was sagt uns das? 

Auch Armin Laschet sorgt sich in der Berliner Runde am Sonntag um die Klarheit des Regierungsauftrags. Doch das sollte sein Problem nicht sein. Denn bei allen Unklarheiten, neuen Herausforderungen und schier unüberwindbaren Koalitionshürden, die diese Wahl mit sich bringt, ist eines deutlicher denn je: Die deutschen Wähler*innen haben keine Lust mehr auf die Union.  

Lasst uns genauer hinschauen: Laut Statistik hat die LINKE viele ihrer Wähler*innen an die SPD verloren. Das ergibt Sinn. Wieso? Vermutlich weil die meisten Wähler*innen in den letzten Wochen nicht mehr an das revolutionäre Ereignis einer grünen Bundeskanzlerin geglaubt haben. Daher galt es vor allem zu verhindern, dass Armin Laschet den Job bekommt. Es war strategisches Wählen. Es war die Wahl eines geringeren Übels.  

Das enttäuschende Ergebnis für die Parteien mit soliden und sozial gerechten Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in ihrem Wahlprogramm birgt also auch eine generationenübergreifende Einigkeit in sich: Die Union soll nicht mehr regieren. Das bedeutet, wenn die Grünen und die FDP es schaffen gemeinsam mit der SPD eine Regierung zu bilden, wäre das nicht nur ein Zugeständnis and die 75,9 Prozent der deutschen Wähler*innen, die CDU und CSU nicht mehr regieren sehen wollen – es wäre auch ein starkes Statement für Generationengerechtigkeit. Insbesondere wenn diese neue Koalition ihren Programmzielen treu bleibt und das Wahlrecht ab 16 einführt. Gleichzeitig können wir mit den Grünen als zweitstärkste Kraft in der Regierung auf radikale Klimaschutzmaßnahmen hoffen.  

Wie auch immer die Koalitionsverhandlungen ausgehen werden, wir werden sie mit einem kritischen ökofeministischen Blick begleiten. Denn eines können wir nach dieser Wahl mit Sicherheit sagen: Der Kampf für eine gender- und klimagerechte Welt bleibt weiterhin ein Kampf der Jugend, ein Kampf der Zivilgesellschaft.

 

Zur Wahlanalyse der Ecofeminist Scorecard