Gemeinsamer Brief an Bundesgesundheitsminister Lauterbach: Wir brauchen dringende Maßnahmen gegen die hormonschädliche Chemikalie Bisphenol A
Berlin, 5. Juli 2023
Gemeinsam mit anderen Organisationen und als Mitglied der EDC-Free Europe-Koalition wenden wir uns in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, an den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Chem Özdemir und an Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Wir fordern die Politiker*innen dazu auf, unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher*innen vor Belastungen mit Bisphenol A (BPA) zu ergreifen. Hintergrund ist die Bewertung der Europäischen Lebensmittelagentur EFSA, dass alle Altersgruppen der EU-Bevölkerung bei den derzeitigen Expositionswerten von Bisphenol A einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind.
Aufruf, dringend Maßnahmen zur Verringerung der Belastung durch die hormonschädliche Chemikalie Bisphenol A einzuleiten.
Sehr geehrter Herr Minister Lauterbach,
Im Namen von CHEMTrust, ClientEarth, EDC-Free Europe, HEJSupport, PAN Germany und WECF, Mitgliedern der EDC-Free Europe-Koalition, schreiben wir Ihnen mit der Bitte, unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher*innen vor Belastungen mit Bisphenol A (BPA) zu ergreifen. Dies ist vor dem Hintergrund der Schlussfolgerungen der EFSA (1), dass alle Altersgruppen der EU-Bevölkerung bei den derzeitigen Expositionswerten von Bisphenol A einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, dringend notwendig.
Die Belastungssituation, die sich an den Ergebnissen der europaweiten Human-Biomonitoring-Studie HBM4EU aus dem Jahr 2022 ablesen lässt, zeigt eine weit verbreitete Kontamination der EU-Bürger*innen mit Bisphenol A und den ebenso schädlichen Ersatzstoffen. (2) Dies bestätigt die Annahme der EFSA, dass weite Teile der Bevölkerung Risken ausgesetzt sind.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, da die Exposition der Bevölkerung gegenüber BPA und anderen Bisphenolen mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden ist, wie z.B. Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung von Kindern, Fortpflanzungsstörungen, erhöhtes Risiko von Fettleibigkeit und Diabetes sowie Beeinträchtigung des Immunsystems. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass BPA auch für wild lebende Tiere sehr bedenklich ist.
Die von HBM4EU dokumentierte allgegenwärtige Exposition gegenüber Bisphenolen und anderen schädlichen Chemikalien von den ersten Lebensjahren an stellt einen Verstoß gegen völkerrechtlich und verfassungsrechtlich verbriefte Menschenrechte dar, etwa die Rechte auf Leben und Gesundheit sowie das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, das von der UN-Generalversammlung im Juli 2022 anerkannt wurde.
Das EFSA-Gutachten vom 19. April 2023 legt eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) fest, die 20.000 Mal niedriger ist als die im Jahr 2015 festgelegte TDI. Die Europäische Kommission kündigt jedoch an (3), dass Maßnahmen, die auf diese Empfehlung reagieren, erst im ersten Quartal 2024 verabschiedet werden könnten. Wir begrüßen die Absicht, BPA in Lebensmittelkontaktmaterialien zu verbieten, bedauern aber, dass angesichts der von der EFSA festgestellten Gesundheitsrisiken keine Sofortmaßnahmen vorgesehen sind, um die Exposition der EU-Bürger*innen gegenüber BPA schneller zu verringern.
Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die europäische Ombudsfrau kürzlich eine Initiative bei der Europäischen Kommission gestartet hat, um zu untersuchen, warum die EU Kommission es in der Vergangenheit versäumt hat, bekannte schädliche Chemikalien rechtzeitig zu verbieten und ausreichende Transparenz herzustellen. Dabei liegt ihr Schwerpunkt auf der Umsetzung von REACH. Dies ist eine wichtige Initiative, die wir sehr begrüßen. Trotz der zahlreichen Warnungen wissenschaftlicher Expert*innen in den letzten zehn Jahren und der wiederholten Aufforderungen von Nichtregierungsorganisationen Maßnahmen zu ergreifen, ist die Regulierung von BPA und anderen Stoffen der Bisphenol-Gruppe weiterhin lückenhaft, unzureichend und viel zu langsam. Dies führt dazu, dass die EU-Bürger*innen, einschließlich der am meisten gefährdeten, BPA und seinen ebenso schädlichen Ersatzstoffen ausgesetzt sind. Eine kürzlich von Verbraucher*innengruppen in sieben EU-Ländern durchgeführte Studie, bei der 121 Kinderprodukte auf das Vorkommen von Bisphenolen, einschließlich BPA, BPS und BPF, untersucht wurden, ergab, dass 60 % der Produkte mindestens ein Bisphenol, in vielen Fällen jedoch zwei oder mehr Bisphenole enthielten oder freisetzen, wobei einige der Produkte sogar große Mengen davon enthielten.
In Deutschland ist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) für die Bewertung von Gesundheitsrisiken von Verbraucher*innen zuständig. Mit seiner ablehnenden Stellungnahme zur EFSA Entscheidung, den TDI zu verringern und stattdessen einen 1.000-fach höheren TDI als der Vorschlag der EFSA zu fordern (5), stellt sich das BfR aus unserer Sicht gegen einen europäischen, wissenschaftlichen Konsens, verharmlost die nachweisliche menschliche Belastung mit BPA und anderen Bisphenolen, die das HMB4EU liefert, ignoriert das Problem der Kombinationswirkungen und schürt als Bundesbehörde Verunsicherung über die Schädlichkeit von BPA. Dies ist angesichts der hohen Exposition gegenüber BPA, der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Gesundheitsgefahren und der
Dringlichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, unverantwortlich.
Wir fordern Sie daher dazu auf, die Empfehlungen der EFSA unmittelbar in konkrete Maßnahmen zu überführen und dafür zu sorgen, dass:
- das bevorstehende Verbot von BPA in Materialien mit Lebensmittelkontakt auch alle
anderen Bisphenole einschließt, die als Ersatz verwendet werden können. - die derzeit erarbeite Bisphenol-Beschränkung im Rahmen von REACH, die sich bislang nur auf die Umwelt konzentriert, auch auf die menschliche Gesundheit ausgeweitet wird und die ECHA dringend mit dieser Ausweitung beauftragt wird.
- die Menschen in allen EU-Ländern besser über ihre Expositionsgefahren gegenüber EDCs in ihrem täglichen Leben und wie sie diese reduzieren können, informiert werden, bis die Regulierungsmaßnahmen endlich umgesetzt sind.
Jede weitere Verzögerung hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit, die Umwelt und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Kosten. Wir bitten Sie um Unterstützung und fordern Sie eindringlich auf, die bestehende Belastungssituation zu entschärfen und Konsequenzen aus der langjährigen, unzureichenden Regulierung von BPA und anderen schädlichen Chemikalien zu ziehen.
Mit freundlichen Grüßen
- Alexandra Caterbow, Co-Direktorin HEJSupport e.V., alexandra.caterbow@hej-support.org
- Prof. Dr. Hermann Ott, Geschäftsführer ClientEarth gGmbH
- Gabriela Strobel, Vorstand Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany)
- Johanna Hausmann, Women in Europe for a Common Future e.V.
- Dr. Ninja Reineke, Vorstandsvorsitzende, ChemTrust Europe e.V.
Kontakt
Alexandra Caterbow, HEJSupport e.V., alexandra.caterbow@hej-support.org | Dr. Julian Schenten, ClientEarth, JSchenten@clientearth.org | Susanne Smolka, PAN Germany, Susanne.Smolka@pan-germany.org | Johanna Hausmann, WECF, johanna.hausmann@wecf-consultant.org | Dr. Ninja Reineke, CHEMTrust Europe, ninja.reineke@chemtrust.org
(1) EFSA, Bisphenol A in Food is a Health Risk, 2023: https://www.efsa.europa.eu/en/news/bisphenol-food-health-risk(2) HBM4EU, Final conference newspaper, 2022: https://www.hbm4eu.eu/wpcontent/uploads/2022/05/HBM4EU-Newspaper.pdf, p. 53.
(3) European Commission, Food safety – restrictions on bisphenol A (BPA) and other bisphenols in food contact materials: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13832-
Food-safety-restrictions-on-bisphenol-A-BPA-and-other-bisphenols-in-food-contact-materials_en
(4) BEUC, Hormone-disrupting chemicals in children´s products, 2023: https://www.beuc.eu/blog/hormone-disrupting-chemicals-found-in-60-of-121-childrens-products/
(5) BfR-Stellungnahme Nr. 018/2023: https://www.bfr.bund.de/cm/343/bisphenol-a-bfr-chlaegtgesundheitsbasierten-richtwert-vor-fuer-eine-vollstaendige-risikobewertung-werden-aktuelleexpositionsdaten-benoetigt.pdf