„Die G7 sind für ihre eigenen Verpflichtungen das schlechteste Vorbild“ – Resümee über das Gipfeltreffen aus ökofeministischer Perspektive
von Julika Zimmermann, WECF | Foto im Header: Bundesregierung/Steins
Zelebrierte Idylle in Elmau. Im eigentlichen Yoga-Raum des Hotels lächeln die sieben Wirtschaftsbosse der Welt in die Kamera und vermitteln Einigkeit, nicht nur beim „Familienfoto“ vor dem Wetterstein-Panorama. Im G7 online-Livestream ist das Zwitschern der Vögel zu hören, während die Kamera in Pressepausen das sonnenbeschienene Schloss abfilmt – die Parolen der Proteste gegen den G7 Gipfel verhallen irgendwo zwischen München und Garmisch im Nichts. Auf den Videos, die nach draußen dringen, sind viele schüttelnde Hände und herzliche Begrüßungen zu sehen. Das Einzige was irritiert, ist ein pink-lachsfarbener Fleck, der ab und zu im Bild auftaucht und dem schwarz-grauen Gewimmel der Anzugträger einen Strich durch das normative Auftreten macht. Es ist das Outfit der einzigen anwesenden Frau bei den G7 Gesprächen: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
Drei Frauen
Drei Frauen waren insgesamt nach Elmau geladen: von der Leyen, Ngozi Okonjo-Iweala, Generalsekretärin der Welthandelsorganisation (WTO) und Kristalina Georgiewa, Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IMF). Drei Frauen von insgesamt 20 Gästen, wenn wir die Vertreter*innen der Partnerländer und internationalen Organisationen einbeziehen – das sind immerhin 15%. Das ist eine bessere Quote als die meisten Großunternehmen in ihren Führungspositionen haben. Wenn wir auf die exklusivere Ebene der Beratungen der G7-Staatschefs gehen, sind wir mit einer Frau und acht Männern nur noch bei einer Quote von 12,5% und wenn wir den Kreis nur um die sieben Staatschefs ziehen, landen wir bei einer noch traurigeren Zahl: Null.
Da sitzen sie also und reden über Gleichstellung, die acht Männer und zwei Frauen, von der die eine eigentlich nichts sagen, sondern nur beobachten darf, und die andere zwar was sagen, aber nichts entscheiden darf.
Denn leider ist keine der anwesenden Frauen Teil der Verhandlungspartner der G7. Sogar Von der Leyen ist als Vertreterin der EU lediglich in beobachtender Funktion vor Ort. Die Frauenquote ändert sich nur minimal, als am Montag in der sechsten Arbeitssitzung über die Gleichstellung der Geschlechter beraten wird: Jutta Allmendinger durfte noch teilnehmen, die Leiterin des Beirats für Gleichstellungsfragen (Gender Equality Advisory Council, GEAC), den Bundeskanzler Olaf Scholz während der Deutschen G7-Präsidentschaft einberufen hat. Das ist okay, weil das klingt in dem Zusammenhang irgendwie wichtig. Da sitzen sie also und reden über Gleichstellung, die acht Männer und zwei Frauen, von der die eine eigentlich nichts sagen, sondern nur beobachten darf, und die andere zwar was sagen, aber nichts entscheiden darf.
Die Vorstellung der G7 von resilienter Demokratie
Heraus kam die „Erklärung von 2022 über resiliente Demokratien.“ Das müssen wir uns erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Resiliente Demokratien. Das läuft runter wie Zitroneneis bei 30 Grad. Schöne Vorstellung und beherzte Inhalte. In dieser Erklärung geht es nämlich mehr als um Gleichstellung. Es geht vielmehr um die Stärkung benachteiligter und diskriminierter Bevölkerungsgruppen.
In dieser Erklärung haben sich die G7 zu allerlei verpflichtet. Z.B. dazu, „Geschlechtergerechtigkeit und die Mitgestaltungsmacht aller Frauen und Mädchen zu fördern“. Mitgestaltungsmacht. Aha. Wo jetzt genau? Welches Foto haben wir übersehen, auf dem mindestens drei Frauen mit am runden Tisch der G7 sitzen? Welche Pressemitteilung zu globalen politischen Prozessen eines weiblichen Staatsoberhauptes haben wir verpasst? Bei den einzigen Tätigkeiten, bei denen wir uns ziemlich sicher sein können, dass Frauen involviert waren, war bei der Frisurengestaltung der Staatsmächte, bei der Auswahl des Tischblumenarrangements und bei der täglichen Reinigung der Luxussuiten. Dies sind nämlich einige der wenigen Branchen in Deutschland, in denen der Frauenanteil über 50% liegt. Das soll eure Mitgestaltungsmacht sein? Danke, nein.
Vor allem aber haben sich Scholz, Biden, Macron und Co. zur „Förderung einer uneingeschränkten, gleichberechtigten und wirksamen Beteiligung von Frauen am zivilgesellschaftlichen und politischen Leben und der Wahrnehmung von Führungsaufgaben durch Frauen in diesen Bereichen“ verpflichtet. Schön. Gefällt uns. Fragen wir doch mal die Frauen, die gefördert wurden, damit sie sich im vollen Umfang an den Beratungen der sieben wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt beteiligen können. Hm. Blöd, keine da, im schönen Elmau, die wir fragen könnten. Und alle anderen diskriminierten Geschlechter sind gar nicht erst erwähnt. Das haben die sieben Staatsmänner wohl aus Versehen vergessen. Kann ja jedem mal passieren.
Das war aber noch nicht alles. Die G7 haben auch den noblen Anspruch das Gender Mainstreaming zu fördern und verpflichten sich zur „Einbeziehung der Geschlechterperspektive in allen Politikbereichen“. Und wir jubeln und freuen uns, dass sie das mit der Intersektionalität endlich verstanden haben. Doch dann schauen wir genauer hin. Denn erst in der Sitzung davor, in der fünften Arbeitssitzung der G7, hatten die Staatschefs Klima, Energie und Gesundheit auf der Agenda. Also ein super Aufhänger, um über die ungleiche Betroffenheit der Klimakrise zu sprechen, über den extrem männerdominierten Energie- und Automobilsektor und die genderspezifischen Auswirkungen von Chemikalien auf unsere Gesundheit. Doch in ihrer anschließenden Erklärung „Gemeinsam den sauberen und gerechten Übergang hin zur Klimaneutralität voranbringen“ ist kein einziges Mal von Geschlechtergerechtigkeit oder sozialer Gerechtigkeit die Rede. Nirgendwo ist ein Wort zu finden, das die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Genderfragen auch nur erwähnt.
Kein einziges Mal wird von der Pflicht der G7 Staaten gesprochen, als größte CO2-Emittent*innen und wohlhabendsten Länder der Welt, eine historische und präsente Verantwortung für den Klimaschutz zu übernehmen.
Eine schöne Geste
Genauso wenig wird von einer Verantwortung der G7 Länder gegenüber den Ländern im globalen Süden gesprochen. Kein einziges Mal werden neokoloniale Strukturen in der Weltwirtschaft erwähnt, Strukturen dank denen die Klima- und viele andere sozialen Krisen überhaupt erst möglich wurden. Kein einziges Mal wird von der Pflicht der G7 Staaten gesprochen, als größte CO2-Emittent*innen und wohlhabendsten Länder der Welt, eine historische und präsente Verantwortung für den Klimaschutz zu übernehmen.
Immerhin hat sich die überwiegend weiße Männerrunde an diesem Tag in eine schwarz-weiße Männerrunde verwandelt. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Staatsoberhäupter aus den Partnerländern Senegal, Südafrika, Indien, Argentinien und Indonesien geladen, um gemeinsam über die Bekämpfung der Klimakrise zu sprechen. Eine schöne Geste. Mehr allerdings auch nicht. Wie sollen diese fünf männlichen Staatschefs eine Masse an Millionen von Menschen repräsentieren, die je nach Geschlecht, sozialer Schicht und körperlicher Verfassung unterschiedlich von der Klimakriese betroffen sind?
Lunge und Herz der feministischen Bewegung
Dabei wurde es der Runde schon so einfach wie möglich gemacht. Ende Mai übergaben die Women7 auf dem W7 Gipfel Bundeskanzler Scholz ihr W7 Communiqué, das konkrete Forderungen und Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit an die G7 enthält. Eigentlich hätten die sieben Staatschefs da einfach ihren Haken drunter machen können und den Montag Nachmittag dazu nutzen, über konkrete Umsetzung zu sprechen. Doch das passiert nicht.
Entscheidende Stichpunkte wie die Überwindung von patriarchalen Machtdynamiken, dem Entgegenwirken von normativen Gender-Rollen und der finanziellen und gesellschaftlichen Aufwertung von Care-Arbeit tauchen in der Erklärung der G7 nicht auf. Genauso wenig werden die Rechte von Schwarzen, Indigenen, People of Color (BIPOC) und LGBTQI* communities erwähnt. Dabei sind sie das Herz und die Lunge aller feministischen Bemühungen nach Geschlechtergerechtigkeit. Ohne sie sind Pläne für eine geschlechtergerechte Welt nur wenig wert.
Entscheidende Stichpunkte wie die Überwindung von patriarchalen Machtdynamiken, dem Entgegenwirken von normativen Gender-Rollen und der finanziellen und gesellschaftlichen Aufwertung von Care-Arbeit tauchen in der Erklärung der G7 nicht auf.
Das Einzige, worauf sie sich eingelassen haben, ist die Forderung nach einem Monitoring-Tool von Genderungleichheit. Daraufhin wurde das G7 Dashboard on Gender Gaps 2022 entworfen, welches die Gender Gaps in den verschiedenen G7 Ländern grafisch dokumentiert. Hübsch sieht das aus. Schön bunt und viele Tabellen. Aber es hinterlässt bei uns Lesenden eine ratlose Starre, ein perplexes „Ist-das- alles!?-Gefühl“. Ist das der „Nachholbedarf“ der Politik in Genderfragen, den Olaf Scholz in seiner Rede auf dem W7 Gipfel erwähnt hat? Den weiblich sozialisierten Menschen ein Dokument hinhalten, dessen Inhalte so neu sind, wie ein Antiquitätenteppich und allen intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen einmal mehr unter die Nase reiben, dass sie gesellschaftlich nicht existieren? Wie ein Grundschulkind, das dir stolz ein undefiniertes selbstgebasteltes Deko-Element hinhält und sagt „guck mal, hab ich für dich gebastelt.“ Toll! *Peinliche Pause*. Gut gemacht.
Schlechtes Vorbild
Die Staatsoberhäupter der sieben größten Wirtschaftsmächte der Welt sind sich für ihre eigenen Verpflichtungen das schlechteste Vorbild. Sie lobpreisen sich als Beschützer resilienter Demokratien und sind dabei selbst Ausdruck von patriarchalen und neokolonialistischen Strukturen, die unsere Welt in die Krisen geführt hat, mit denen wir jetzt zu kämpfen haben. Sie sind nicht fähig ernsthaft Selbstkritik zu üben und zu hinterfragen, in welcher Weise ihre weiß-männliche Dominanz auf diesem Gipfeltreffen zu ihren eigenen Erklärungen passen soll.
Uns ist durchaus bewusst, dass ein Gipfeltreffen der sieben größten Wirtschaftsmächte im Jahr 2022 in weiblicher Besetzung nur die wenigsten unserer globalen Probleme lösen wird. Dafür sind unsere globalen Krisen viel zu komplex und der runde Tisch im Elmauer Yoga-Raum viel zu klein. Es mindert aber nicht die Unverschämtheit, dass im 21. Jahrhundert immer noch eine homogene Gruppe aus weißen, heterosexuellen cis Männern unter einem immensen Sicherheitsaufgebot und Kosten in Milliardenhöhe sich gegenseitig die Weltpolitik erklärt, während der Rest der Welt zuschaut. Solange nicht diverse Stimmen verschiedener Erfahrungen an jedem Tisch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sitzen, die bereit sind, radikale Wege hin zu einer ökofeministschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation zu gehen, kann es keine Klimagerechtigkeit geben.
Dieser Kommentar erschien im Freiraum Blog der taz.
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